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Der Beitrag eines Pflichtfaches Informatik zur Digitalisierung an Schulen

9. Oktober 2017

#Digitalisierung ohne #PflichtfachInformatik ist wie #Demokratie ohne #politischeBildung https://t.co/Z5Luj9zTlA
— Benedikt Roth (@derbenediktroth) 3. Februar 2017


AdrianSalamon2017Was bedeutet Pflichtfach Informatik?

»Warum können Schüler denn so schlecht im Internet recherchieren, wenn es doch das Schulfach Informatik gibt?« Das fragen sich wohl viele Lehrkräfte, die mit einer Klasse einen Ausflug in den Computerraum machen und von den fehlenden Kompetenzen ihrer Schülerinnen und Schüler verblüfft sind.

Nun, zum einen ist Informatik zwar – wie alle anderen Schulfächer auch – an der Medienbildung beteiligt. Der Informatikunterricht geht aber tiefer und behandelt Suchalgorithmen, strukturiertes Arbeiten und die Wirkung von Informatiksystemen auf das Leben in unserer Gesellschaft. Klingt ganz gut, aber der Punkt ist: Die wenigsten Kinder erhalten überhaupt Informatikunterricht.

Denn Informatik ist in der weiterführenden Schule ein Wahlfach, das Schülerinnen und Schüler wählen dürfen, zumindest wenn die Schule über genug ausgebildete Informatiklehrkäfte verfügt [1], es aber weder in der Sek I noch in der der Sek II müssen. Darin unterscheidet sich Informatik von anderen Nebenfächern, wie Chemie, Physik, Politik usw., die zum untrennbaren Teil der allgemeinen Bildung an weiterführenden Schulen in NRW gehören. Nicht aber das fakultative Fach Informatik.

Daraus resultiert folgendes Problem: Die meisten Schülerinnen und Schüler kommen durch ihre gesamte Schullaufbahn, ohne eine einzige Stunde Informatikunterricht genossen zu haben. Wo führt das hin? Es führt dazu, dass unsere Lernenden höchstens zu klickenden Anwendern erzogen werden können, dass Digitalisierung nur an der Oberfläche der Gesellschaft ansetzen kann und dass in Deutschland 51.000 Arbeitsstellen im IT-Bereich unbesetzt blieben. [2]

Ein Lösungsansatz ist die Forderung nach einem Pflichtfach Informatik mit einer verpflichtenden Schulstunde pro Woche durchgängig in den Schuljahren 5–10. Dies fordern u.a. die Gesellschaft für Informatik, der Digitalverband Bitkom und viele Stimmen aus der Informatikdidaktik [3].

Nach dem Motto »Früh hilft viel« gibt es sogar schon Projekte, die versuchen informatische Bildung bereits an der Grundschule zu etablieren, um in die frühkindliche Bildung einzugreifen und auch genderbezogene Rollenbeschreibungen bildungsbiographisch früh zu korrigieren (Müller & Humbert 2015). Das geht sowohl mit [4], als auch ohne [5] technische Geräte. Digitale Bildung ist entsprechend nicht mit dem Hocken vor dem Bildschirm gleichzusetzen. Sie ist viel mehr ein Anwenden von tiefer gehenden informatischen Konzepten.

Interesse für Informatik wecken, Berühungsängste abbauen

Hat man ein solches Pflichtfach etabliert, so besteht die Möglichkeit, alle Schülerinnen und Schüler für Informatik zu begeistern. Neben fachlichen Kompetenzen, wie dem Erkennen, Verarbeiten und Gestalten von Strukturen, können sie hier Dinge mit echten Lebensweltbezügen lernen, die auch ohne Strom nützlich sind.

Aber sie lernen eben auch in digitalen Kontexten zu arbeiten. Sie erkennen und verstehen Zusammenhänge und gestalten dazu passende Produkte, wie Dokumente [6], Wissensnetze, Grafiken, Videos und eben auch – und das kann nur die Informatik leisten – Programme, mit denen sich Probleme und Aufgaben automatisiert lösen lassen. Dafür werden digitale Werkzeuge verwendet, die auch in anderen Lernkontexten hilfreich sind. Informatiksysteme sind an dieser Stelle Werkzeug und Medium des Wissenerwerbs, während sie im Informatikunterricht auch selbst Lerngegenstand sind. Aber eben nicht ausschließlich.

Auch Lehrkräfte profitieren von informatischer Bildung

Als Lehrkraft soll man stets mit gutem Beispiel vorangehen. Das ist im Bereich der Digitalisierung oft gar nicht so einfach. Die Schülerinnen und Schüler scheinen einen intensiveren und schnelleren Zugang zu Geräten und Techniken zu haben. Dies ist übrigens unabhängig von Alter der Lehrkraft: Technikmuffel gibt es in allen Jahrgängen.

Ein großer Unterschied ist, dass die Schülerinnen und Schüler in ihrer Biografie viel früher mit Informatiksystemen in alltäglichen Kontakt gekommen sind, als viele Lehrkräfte. Dies erweckt den Eindruck, als seien die Lernenden digitale Experten, weil ihre Hemmschwelle Dinge auszuprobieren deutlich niedriger ist. Die geübte Verwendung Sozialer Netzwerke, Videostreamingdienste und App-Stores ersetzt jedoch nicht tief gehendes Verständnis über die Systeme der elektronischen Datenverarbeitung. Auch helfen diese Kompetenzen nicht bei Recherche, der Bewertung der Seriösität von Quellen oder der Beachtung des Datenschutz- und Urheberrechts.

Um dem entgegenzuwirken, braucht es – neben einem verpflichtenden Informatikunterricht für alle Schülerinnen und Schüler – eben auch eine Stärkung der digitalen Bildung von Lehrkräften. Dies kann z.B. erreicht werden, indem Lehrkräfte schon während des Studiums einen Pflichtanteil zur informatischen Bildung bekommen würden, um die Besonderheiten der digitalen Welt zu verstehen, die von einer allgemeinen Mediendidaktik und -pädagogik nicht abdeckbar wären. Solche fokussierten Veranstaltung könnten nicht nur Vorbehalte und Ängste vor dem Technikeinsatz und der Gestaltung von Informatiksystemen nehmen, sondern unter Umständen auch dazu führen, dass mehr angehende Lehrkräfte die Schönheit der Informatik erkennen und sich selbst für dieses Studienfach entscheiden. Motivation und Freude sind ganz entscheidende Faktoren, wenn es darum geht Veränderungen anzuleiten.

Technik alleine reicht nicht – Kriterien für digitale didaktische Mehrwerte sind nötig

Die Ausstattung der Schulen mit interaktiven Smartboards und Beamern ist ein wichtiger Schritt in die Richtung zu digitaler Bildung, weil digitale Lernmedien und Lerninhalte den Weg ins Klassenzimmer finden können. Wenn jedoch eine digitale Tafel lediglich für den Anschrieb mathematischer Formeln oder Vokabeln verwendet wird – also lediglich als Kreidetafelersatz dient – dann verfehlt die Technik ihr Ziel. Der Technikeinsatz ist nur durch digitale Mehrwerte zu legitimieren. Dafür muss man sich immer fragen: Was kann ich mit dem digitalen Gerät mehr/besser machen, als mit dem analogen und hilft es mir den Unterricht didaktisch oder pädagogisch besser zu gestalten? Kann ich ein Quiz interaktiv gestalten, über Bilder, Animationen und Videos Lernmaterial veranschaulichen, ein Ideencluster dynamisch gruppieren, Parameter mathematischer Funktionen visualisieren, Texte kooperativ und dezentral erstellen und Programmcode anfassbar machen – dann ist digitales Lernen ermöglicht. Entsprechend ist es noch effektiver, wenn es nicht nur von der Lehrkraft zentral an der Tafel, sondern auch von den Schülerinnen und Schüler auf eigenen Geräten durchgeführt werden kann. Mit neuer Technik wird auch eine angepasste Didaktik notwendig, mit deren Kriterien Systeme, Werkzeuge und Methoden sinnvoll ausgewählt werden können. Und auch hier ist wieder informatisches Verständnis über die Möglichkeiten und Grenzen der Systeme und ihrer Kontexte im Netzwerk nötig, dass nur die Fachwissenschaft Informatik, in Abgrenzung zu z.B. Medienkunde, in der benötigten Tiefe vermitteln kann.

Erst wenn für die Unterrichtsplanung die Frage nach digitalem Mehrwert geklärt ist, können sich langfristig die Rahmenbedingungen an Schulen ändern. Denn nur dadurch, dass Lehrkräfte aktiv Technologien flächendeckend einfordern, können sie auch zu einem festen Bestandteil der Bildung werden. Dann werden schnelle Internetverbindungen und stabile W-LAN-Netze dafür genutzt, um ohne USB-Speicherstick digitale Arbeitsblätter an die Schülerinnen und Schüler zu verteilen, die sich möglichst nahtlos in bestehende Lernprozesse eingliedern und dabei keinen technischen (und zeitlichen) Overhead erzeugen.

Fazit

Das Pflichtfach Informatik würde Schülerinnen und Schülern helfen, nicht nur Benutzer sondern (Mit-)Gestalter von Informatiksystemen zu werden. Sie wären damit in der Lage, die Geräte nicht nur als Spielzeug zum Zeitvertreib, sondern auch als produktives Werkzeug für Zeitersparnis zu verwenden. Keine Schülerin würde heute noch ernsthaft einen Begriff in einem dicken Lexikon aus der Bibliothek nachschlagen, sondern direkt Wikipedia konsultieren. [7] Zudem würden die Lernenden durch das Agieren mit digitalen Medien Kompetenzen erwerben, die einer konkreten Technologie übergeordnet sind und sich auf andere/neue Systeme übertragen lassen. Dadurch ist langfristig die Relevanz des methodisch und inhaltlich Erlernten gesichert.

Aber auch die Lehrkäfte der Zukunft profitieren selbst vom Pflichtfach Informatik: Hätten sie einen Pflichtanteil in ihrem Studium, so könnten sie Kompetenzen entwickeln, um dauerhaft mit Informatiksystemen und digitalen Medien leben und arbeiten zu können, vor allem auch wenn es sich bei ihnen nicht um Informatikerinnen und Informatiker handelt. Deswegen spricht man hier von informatischer Bildung. Die Lehrkräfte der Zukunft werden hoffentlich zudem auch in der eigenen Schullaufbahn in den Genuss des Pflichtfachs Informatik gekommen sein.

Letztendlich benötigen Lehrkräfte von heute (fach-)didaktische Konzepte, motivierende Anreize und entsprechende Rahmenbedingungen, die digitales Lernen unterstützen, damit Digitalisierung als Chance verstanden werden kann. Informatische Bildung hilft dabei ganz sicher


Über den Autor | Adrian Salamon (27) ist studierter und ausgebildeter Lehrer für Informatik und Geschichte für Gymnasium und Gesamtschule. Aktuell arbeitet er an der Bergischen Universität Wuppertal als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Didaktik der Informatik. Seine Schwerpunkte ist der Bereich Informatik-Mensch-Gesellschaft und das Pflichtfach Informatik. Seine Forschungen behandeln die Zusammenhänge und Unterschiede der digitalen und der analogen Welt im Bereich des Urheberrechts (Salamon 2013) und der Lernmaterialien (Salamon 2015).


Verweise

Dietrich, Leonore & Lautebach, Urs 2017. Informatik muss Pflichtfach für alle werden. Wirtschafts Woche Online. http://metager.to/xfe3y [Stand 2017-06-23].

Müller, Dorothee & Humbert, Ludger 2015. Gendergerechter Informatikunterricht. In M. Kampshoff & C. Wiepcke, hg. Vielfalt geschlechtergerechten Unterrichts – Ideen und konkrete Umsetzungsbeispiele für Sekundarstufen – online Version. Weingarten, Schwäbisch Gmünd. http://metager.to/qe58b [Stand 2017-06-10].

Salamon, Adrian 2015. Digitales Unterrichtsmaterial im E-Learning: Konzeption aus informatikfachdidaktischer Perspektive. Masterthesis. Fachgebiet Didaktik der Informatik – Bergische Universität, Wuppertal. http://metager.to/whxr3 [Stand 2016-06-11].

Salamon, Adrian 2013. Urheberrecht als Unterrichtsgegenstand im Informatikunterricht. Bachelorarbeit. Fachgebiet Didaktik der Informatik – Bergische Universität, Wuppertal. http://metager.to/gwk1u [Stand 2016-06-2].

[1] An deutlich mehr als 200 Schulen für den Sekundarbereich I (Jahrgänge 5–10) in NRW gibt es überhaupt keine Informatiklehrkraft – d.h. selbst wenn die Schülerinnen und Schüler Informatik wählen möchten, können sie dort dieses Fach nicht belegen.

[2] Siehe https://www.heise.de/newsticker/meldung/Bitkom-Studie-51-000-offene-Stellen-fuer-IT-Spezialisten-3465158.html.

[3] Siehe z.B. (Dietrich & Lautebach (2017)).

[4] Siehe den didaktische Microcontroller Calliope mini http://calliope.cc.

[5] Siehe das Projekt Informatik an Grundschulen. http://IaG.nrw.de/

[6] Mit der Gestaltung von Dokumenten ist mehr gemeint, als eine Andwendungsschulung für Officepakete. Vielmehr ist hier die Ausarbeitung von softwareunabhängigen Kompetenzen zur Analyse und Gestaltung von Textsatz zu verorten.

[7] Und das ist aus mehreren Gründen gut so. Die dazugehörige Diskussion würde hier jedoch den Rahmen sprengen.

Veröffentlicht am 09.10.17

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Wie sagte schon Bacon: „Wissen ist Macht!“
*Francis Bacon, 1561 - 1625, Philosoph & Jurist
 

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