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5 Fragen – 5 Antworten: mit Prof. Dr. Edda Müller

Edda Müller_Transparency_2012Professorin Dr. Edda Müller (1942 in Sorau/Niederlausitz geboren) ist Honorarprofessorin an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. Neben zahlreichen politischen Stationen gehörte sie von  2005-2010 dem Beirat von Transparency International Deutschland an, deren Vorsitzende sie seit 2010 ist. wissensschule tauschte sich mit ihr über die Bedeutung des ehrbaren Kaufmanns in der heutigen Zeit sowie mehr Transparenz im Lobbyismus aus.

Korruption gemäß der Definition von Transparency International ist der Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil. Die zurückliegenden Vorkommnisse aus Politik und Wirtschaft bei nationalen und internationalen Geschäften belegen, dass neben Geldgier auch Scheinheiligkeit auf den Plan tritt. Sind die Mächtigen und Reichen soweit der Welt entrückt, dass nur ihre eigenen Prinzipien Gültigkeit haben?

Die nationale und internationale Politik hat in den letzten Jahren ihre „Schulaufgaben“ nur unzureichend gemacht. Erfolgreiche Wirtschaftsaktivitäten sind wichtig, weil von ihnen auch die Arbeitsplätze in unserem Land und die Entwicklung in den Armutsländern dieser Welt abhängen.  Die “Politik“ erweist aber der Wirtschaft und Gesellschaft einen Bärendienst, wenn sie auf klare gesetzliche Vorgaben und einen rechtlichen Ordnungsrahmen verzichtet, der die soziale und ökologische Verantwortung der Unternehmen verbindlich vorschreibt und deren Einhaltung wirksam kontrolliert.  Offensichtlich ist in einigen Chefetagen großer Wirtschaftsunternehmen und Banken das Gefühl für „Anstand und Sitte“ abhanden gekommen. Wenn Politiker diesen „Führungskräften“ einen roten Teppich ausrollen, fördern sie deren Arroganz und Maßlosigkeit. Wenn sie dem Treiben tatenlos zusehen, machen sie sich mitschuldig am Vertrauensverlust in Wirtschaft und Politik und der Gefährdung unserer Demokratie.

Robert Bosch hat einmal gesagt "Lieber Geld verlieren als Vertrauen". Der leicht angestaubte Begriff des ehrbaren Kaufmanns zeichnet sich durch Werte wie Verlässlichkeit, Ehrlichkeit, Anstand und Integrität aus. Inwieweit ist dieser Begriff in der heutigen Zeit, in der Moral und Anstand eine eher untergeordnete Rolle spielen, noch zeitgemäß?

Die Werthaltungen des „ehrbaren Kaufmanns“ sind notwendiger denn je. Im globalen Markt mit seiner hohen Arbeitsteilung und Vielzahl von Akteuren lässt sich nicht jede wirtschaftliche Transaktion staatlich kontrollieren und Fehlverhalten frühzeitig sanktionieren. Klare gesetzliche Rahmenbedingungen für alle Akteure, vor allem Transparenz sind notwendig. Die Verbraucher müssen verlässliche Informationen zur sozialen und ökologischen Qualität von Waren und Dienstleistungen erhalten. Gesetzesverstöße von Unternehmen dürfen nicht länger als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse vor der Offenlegung geschützt bleiben. Die Verbesserung des rechtlichen Regelwerks allein reicht jedoch nicht aus. Sie muss begleitet werden von einer neuen Wertschätzung von Ethik und Moral sowie einer gesellschaftlichen Ächtung unmoralischen Verhaltens. Dies schließt die Verbraucher ebenso ein wie politische Entscheider, Medien, Lehrer und sonstige Multiplikatoren, die die Möglichkeiten haben, auf menschliches Verhalten Einfluss zu nehmen.

Mehr als drei Viertel aller Wahlberechtigten in Deutschland wollen ein Unternehmensstrafrecht und mehr Transparenz im Lobbyismus. Vertrauen in die politischen Akteure ist eine Grundvoraussetzung für eine funktionierende Demokratie. Die von Ihrer Organisation eingeforderten Themen wie Hinweisgeberschutz und verpflichtendes Lobbyregister haben keinen Einzug in die Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und SPD gefunden. Was glauben Sie, sind die Gründe dafür.

Auf ein Unternehmensstrafrecht, mit dem Rechtsverstöße von Unternehmen verpflichtend verfolgt und unabhängig vom Nachweis der Schuld der Unternehmensspitze sanktioniert werden können, haben sich die Regierungsparteien nicht geeinigt. Die Gründe scheinen hier vor allem rechtsdogmatischer Natur zu sein. So sei das Strafrecht nur für natürliche Personen anwendbar, die man ins Gefängnis stecken könne, nicht aber auf juristische Personen wie Unternehmen. Es wurde jedoch eine deutliche Verbesserung der abschreckenden Wirkung des geltenden Rechts  verabredet. Transparency Deutschland wird den Gesetzgebungsprozess intensiv begleiten und auf eine wirksame Regelung hinwirken.

Unverständlich finden wir, dass der Hinweisgeberschutz erneut nicht in die Vorhabenliste der Bundesregierung aufgenommen wurde. Wir hoffen hier auf das EU-Recht. Bis Mitte 2018 ist Deutschland verpflichtet eine EU-Richtlinie zu Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen in deutsches Recht umzusetzen. Hiernach sollen künftig Hinweisgeber nicht mehr wegen Verletzung des Geheimnisschutzes belangt werden können, wenn die Aufdeckung von Rechtsverstößen im öffentlichen Interesse liegt.

Zuversichtlich sind wir, auch bei der Regulierung des Lobbyismus weiter zu kommen, obwohl die Koalitionspartner hierzu in der Koalitionsvereinbarung nichts gesagt haben. Es gibt zum einen in den Regierungsfraktionen einflussreiche Politiker und Politikerinnen, die sich hierfür einsetzen. Zum anderen sprechen sich In letzter Zeit mehr und mehr Unternehmen und Wirtschaftsverbände für die Schaffung eines Interessenvertretungsgesetzes aus. Konkret geht es uns um Transparenz auf beiden Seiten des politischen Prozesses. In einem verpflichtenden Lobbyregister sollen alle Akteure, die ihre Interessen an den Gesetzgeber und die Regierung herantragen insbesondere Angaben zu ihren finanziellen Ressourcen und der Herkunft ihrer Mittel machen. Mit der Registrierung müssen sie sich zugleich auf einen Verhaltenskodex verpflichten, der auch Sanktionen für den Fall vorsieht, dass die Regeln des Gesetzes und des Verhaltenskodex nicht eingehalten werden. Von zentraler Bedeutung ist die andere Seite der Medaille: welche Interessen während der Gesetzesvorbereitung angehört wurden und inwieweit diese Interessen Eingang in den in der Ministerialverwaltung vorbereiteten und vom Kabinett beschlossenen Gesetzesentwurf gefunden haben. Wir nennen dies den „legislativen Fußabdruck“, d.h. die Dokumentation der Interessenbeteiligung und der Interessenabwägung in der Begründung zu jedem Gesetzentwurf, der an den Bundesrat und den Bundestag geht. Um dem Eindruck entgegenzutreten, dass Interessen hinter verschlossenen Türen zwischen den Mächtigen in Politik und Wirtschaft ohne Berücksichtigung der Interessen der Bevölkerung „abgekaspert“ werden, schlagen wir vor, dass die Interesseneinflüsse in der 1. Lesung eines Gesetzentwurfs im Bundestag öffentlich diskutiert werden. Die Einsetzung eines unabhängigen Lobbybeauftragten durch den Bundestag analog zum Wehrbeauftragten ist schließlich ein notwendiges Element des Interessenvertretungsgesetzes. Es bedarf aus unserer Sicht einer unabhängigen Stelle, die die Einhaltung der Regeln des Gesetzes überwacht und hierüber jährlich dem Bundestag und der Öffentlichkeit Bericht erstattet.

Welche Bedeutung haben Ihrer Meinung nach die Themen Korruption und Vertrauen in die Politik an Schulen und besonders bei jungen Menschen? Und gibt es dazu von Ihrer Organisation entsprechende interaktive Lehr-/Lernmaterialien? 

Die Schulen bilden die Wähler, Führungskräfte, Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen von morgen und die Verbraucher und Verbraucherinnen, Bürger und Bürgerinnen von heute und morgen aus. Ihre Arbeit beeinflusst den „Zeitgeist“, der die Welt und das Handeln von uns allen bestimmt.  Menschen werden nicht korrupt geboren. Sie sind auch nicht von vorn herein gut oder böse, solidarisch mit den Schwachen  oder nur auf ihren eigenen kurzfristigen Vorteil bedacht. Die Schulen und Universitäten dürfen sich daher nicht allein auf die Vermittlung von Techniken und Sachwissen konzentrieren. Die Persönlichkeitsbildung wozu auch die die Erziehung zum aktiven Staatsbürger und Demokraten gehört ist wichtiger denn je. Diese Aufgabe unterstützen wir. In unseren ehrenamtlichen Regional- und Arbeitsgruppen haben wir begonnen, Lehrmaterial zu entwickeln. Nähere Auskünfte vermittelt unsere Geschäftsstelle.

Wie wollen Sie junge Menschen dazu befähigen, sich mit diesen Themen konkreter auseinander zu setzen, um so ihre künftigen Aufgaben als mündige Bürgerinnen und Bürger wahrzunehmen?  

Ich bin keine Pädagogin und nicht kompetent, hier ein Curriculum zur Staatsbürgererziehung zu entwickeln.  Als Politikwissenschaftlerin und Praktikerin des politischen Geschäfts empfehle ich das Mittun, das Engagement in einer demokratischen Partei und zum Beispiel die Mitarbeit bei Transparency International Deutschland, in einem Umweltverband oder einer anderen Gruppe, für deren Aufgaben sich Jugendliche interessieren. Wichtig ist, dass diese Aufgaben dem Gemeinwohl dienen und nicht nur für die höchstpersönlichen eigenen Interessen gut sind.

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