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5 Fragen — 5 Antworten: mit Andreas Schleicher

20. Dezember 2017

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Andreas Schleicher (1964 in Hamburg geboren) ist ein deutscher Bildungsforscher, der bei der OECD Direktor für Bildung ist. Besonders bekannt wurde er einer breiten Öffentlichkeit als Internationaler Koordinator des Programm for International Student Assessment (PISA-Studien). wissensschule tauschte sich mit ihm über Akademisierungswahn, Sinnhaftigkeit von PISA-Vergleichstests sowie mehr Wettbewerb an deutschen Schulen aus.

 

Die Frage, was man nach dem Abitur vorhat, nervt nicht nur die Abschlussklassen. Mit der Antwort „Irgendetwas mit …....“ zählen einige Schüler schon zu den Entschlossenen. Direkt ins Studium, eine Ausbildung machen oder  im Ausland erste Erfahrungen sammeln? Den eigenen Interessen folgen oder einen sicheren Weg gehen? Wie haben Sie diese Zeit erlebt und wozu raten Sie jungen Menschen?

Ich glaube es zählen von Allem drei Dinge: Wofür habe ich wirklich eine Leidenschaft? Kann ich, wenn ich mich richtig anstrenge, in diesem Bereich sehr gut werden? Und erfüllt diese Tätigkeit einen wichtigen sozialen Zweck? Dann wird es letztlich immer klappen. Persönlich würde ich mir heute einen zweifachen Abschluss wünschen, einen mit dem ich mir einen Lebenstraum erfüllen kann, und einen zweiten, der mir einen glatten Übergang ins Berufsleben ermöglicht. Wichtig ist außerdem, das wir für neue Aufgaben offen bleiben, die Hälfte der Berufsfelder zwischen denen heutige Grundschüler auswählen können, gibt es heute noch gar nicht. Ich selber bin Physiker, und arbeite heute im Bildungsbereich.

Durch den Tweet der damals 17-jährigen Schülerin Naina, in dem der Wunsch nach "mehr lebensnahem Unterricht" geäußert wurde und Themen wie z.B. Steuern, Miete und Versicherungen  mit behandelt werden sollten, wird die Diskussion um die Wissensvermittlung an unseren Schulen wieder neu befeuert. Wie ist Ihre Meinung zu diesem Thema, bereitet Schule zu wenig auf das wahre Leben vor?

Ja, die Schule bereitet nur unzureichend auf das Leben vor. Aber ich glaube nicht, dass die Lösung darin liegt, einfach mehr Tipps und Tricks zum Alltagsleben zu lernen. Damit würden wir die Schüler ja wieder für unsere Vergangenheit und nicht für deren Zukunft unterrichten. In Deutschland wird zu viel Gewicht auf die Reproduktion von Fertigwissen gelegt, da lernen Schüler mathematische Formeln auswendig anstatt wie ein Mathematiker zu denken. Wenn Schulen da besser werden, gelingt es den Schülern ganz sicher besser ihr Grundlagenwissen kreativ auch auf Alltagszusammenhänge zu übertragen. Ebenso sollten wir neben kognitiven Fähigkeiten sozialer und emotionaler Kompetenz größere Bedeutung beimessen. Daran entscheidet sich nämlich unser Erfolg im Alltagsleben maßgeblich, ob im Beruf oder in der Familie. 

Viele Eltern träumen nach dem Abitur vom Bachelor ihrer Kinder, während die vielleicht doch lieber mit ihren Händen arbeiten würden. Berufs- und Studienwahl wird neben der Schule maßgeblich vom Elternhaus mitbestimmt. Eilen Eltern hier nicht falschen Idealen hinterher, wenn Sie denken, nur mit einem Studium könne man es heute zu etwas bringen? 

Es ist gut, dass es in Deutschland Alternativen gibt, denn Menschen lernen unterschiedlich. Entscheidend ist, das wir die Wege dahin offen halten und das die Schüler diese Alternativen und deren Konsequenzen auch gut verstehen.

Deutschland bleibt beim weltweiten Vergleichsschultest Pisa 2015 im vorderen Drittel der Rangliste. Was machen andere Länder besser als wir und wie sinnhaft ist ein permanenter Vergleich mit anderen Ländern? Sollten wir uns nicht mehr auf unsere Stärken besinnen, mit dem Ziel, diese weiter auszubauen respektive unsere Schwächen analysieren, mit dem Ziel, eben diese weiter abzubauen?

Ein Land muss soviel besser sein, wie es teurer ist. Das gilt auch für Bildung, und deshalb sind internationale Vergleiche sehr wichtig, und das mittelmäßige Abschneiden deutscher Schüler nicht ausreichend. Die Reproduktion von Fachwissen, das man Schülern leicht im Gleichschritt vermitteln kann, reicht heute nicht mehr aus. Wir können heute fast jede multiple-choice Klassenarbeit mit Hilfe eines Smartphones in Sekundenschnelle lösen. Wenn wir wollen, dass unsere Kinder nicht nur fast so gut wie ein Smartphone sind, dann müssen wir neue Fähigkeiten für das 21. Jahrhundert entwickeln. Die großen Durchbrüche und Paradigmenwechsel entstehen heute meist dann, wenn es gelingt verschiedene Aspekte oder Wissensgebiete, zwischen denen Beziehungen zunächst nicht offensichtlich sind, kreativ und kooperativ zu verknüpfen.  Der Erfolg von Schule muss sich heute außerdem an der Fähigkeit und Motivation der Menschen messen, lebensbegleitend zu lernen, sich in einer sich verändernden Welt immer wieder neu zu positionieren, eigenständig und verantwortungsbewusst zu Handeln, und eigene Pläne und Projekte in größere Zusammenhänge zu stellen. Letztlich geht es darum, Schülern einen Kompass mit an die Hand zu geben, mit dem sie sich in einer komplexen, volatilen und sich beständigen Welt selber zurechtfinden können. Da kann Deutschland viel von anderen Ländern lernen. 

Schauen wir uns einmal die zu lösenden Hausaufgaben im deutschen Bildungssystem der letzten Jahre an: Einführung G8, Integration, Inklusion, Unterrichtsausfall, Digitalisierung, Rückkehr oder vielleicht doch Wahlfreiheit zwischen G8 und G9. Sollte man hier Schulen nicht vielleicht weniger reglementieren und sie dem freien Spiel des Wettbewerbs überlassen? Setzen sich hier nicht auch über kurz oder lang automatisch die besten Schulen  durch?

Klar ist, dass die Schulen in den im PISA Vergleich erfolgreichen Staaten oft deutlich größere Freiräume haben als Schulen in Deutschland, ihre Lernumgebung und das Bildungsangebot zu gestalten und auf ihre Schülerschaft abzustimmen, sowie über die ihnen zugewiesenen Ressourcen zu entscheiden. Auch die Stärkung der einzelnen Schule als pädagogische Handlungseinheit ist in vielen Staaten mit guten PISA Ergebnissen fest verankert.

Veröffentlicht am 20.12.17

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Wie sagte schon Bacon: „Wissen ist Macht!“
*Francis Bacon, 1561 - 1625, Philosoph & Jurist
 

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