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5 Fragen — 5 Antworten: mit Bischof Dr. Helmut Dieser

27. Juli 2017
Der Bischof von Aachen, Dr. Helmut Dieser. Foto am 11. Juli 2017.

Der Bischof von Aachen, Dr. Helmut Dieser.

Dr. Helmut Dieser (1962 in Neuwied geboren) ist ein deutscher römisch-katholischer Geistlicher, der seit November 2016 Bischof von Aachen ist. wissensschule tauschte sich mit ihm über die Jugend von heute und deren Bezug zur Kirche und Gott sowie islamischen Religionsunterricht aus.

Die Frage, was man nach dem Abitur vorhat, nervt nicht nur die Abschlussklassen. Mit der Antwort „Irgendetwas mit …“ zählen einige Schüler schon zu den Entschlossenen. Wie haben Sie die Zeit erlebt, als Sie 1981 am Staatlichen Gymnasium in Bendorf  Ihr Abitur gemacht haben?

Mein wichtigster Erfahrungshintergrund war für mich damals neben meiner Familie die kirchliche Jugendarbeit in meiner Heimatgemeinde. In diesem Kreis habe ich sehr viele wichtige Erfahrungen gemacht mit Gemeinschaft, Diskussionen über Gott und die Welt, Kirche und Glauben. Für uns alle war damals unser Gemeindereferent eine sehr wichtige Bezugsperson, der stets als Gesprächspartner erreichbar war und uns auch herausforderte.

Ich war damals selber Gruppenleiter und hatte während der Schulzeit einmal pro Woche eine Gruppenstunde zu halten. Neben Freizeit­aktivitäten versuchte ich auch religiöse Inhalte kindgerecht zu platzieren. Während dieser Jahre wurde mir für meinen späteren Beruf soviel klar: Ich will was mit Menschen machen, und ich will was mit dem Glauben machen! Vor diesem Hintergrund gewann ich den Mut, mich nach dem Abi im Priesterseminar in Trier anzumelden und mit dem Theologiestudium zu beginnen.

Durch den Tweet  der damals 17-jährigen Schülerin Naina, in dem der Wunsch nach "mehr lebensnahem Unterricht" geäußert wurde und Themen wie z.B. Steuern, Miete und Versicherungen mit behandelt werden sollten, wird die Diskussion um die Wissensvermittlung an unseren Schulen wieder neu befeuert. Wie ist Ihre Meinung zu diesem Thema,  bereitet Schule zu wenig auf das Leben vor?

Die Schulzeit darf nicht zu sehr verzweckt werden auf bestimmte Anforderungen der Gesellschaft hin. Sie soll eine gute Allgemeinbildung vermitteln, die die jungen Menschen fähig macht, an der öffentlichen Meinungsbildung kritisch und konstruktiv teilzunehmen, sich Überblicke zu verschaffen, selber mitzureden. Sie soll befähigen, immer mehr die eigenen Begabungen und Interessen erst zu entdecken und dann zu vertiefen, auch in einer späteren Berufswahl.

Dies versuchen wir in unseren eigenen Schulen, die wir als Kirche im Bistum Aachen auch haben und die sehr beliebt sind, umzusetzen. Uns ist es wichtig, den Schülerinnen und Schülern Werte zu vermitteln und sie Erfahrungen sammeln zu lassen, die für ihr Leben prägend sind.

Klar ist, dass die Inhalte von Allgemeinbildung sich dauernd weiter entwickeln müssen. Heute muss die Schule Anderes lehren als zu meiner Schulzeit, damit Schüler in der Gesellschaft bestehen können. Nehmen Sie z.B. den gesamten Bereich der Digitalisierung und einen selbstbestimmten Umgang damit. Aber Schule darf sich nicht zu breit machen. Denn auch außerschulisch lernen junge Menschen entscheidend Wichtiges für ihr Leben, und dazu muss Zeit und Raum bleiben.

Ein großer Teil der Jugend von heute kann nicht mehr viel mit Kirche, Glauben und Gott anfangen. Wer heute nichts tut, lebt morgen wie gestern! Was muss Kirche heute tun, um  gerade junge Menschen von gestern auch morgen noch zu erreichen?

Kirchliche Jugendarbeit hat deshalb immer das Ziel, junge Menschen mit jungen Menschen zusammenzubringen, damit sie gemeinsame Erfahrungen mit Glaube und Kirche machen können. Dazu braucht es wiederum gute Haupt- und Ehrenamtliche, die als Gesprächspartner, „Zeithaber“ und Anleiter glaubwürdig, vertrauenswürdig und sympathisch Beziehungen aufbauen und durchhalten. Was sich in meinen Augen dramatisch verändert hat, ist das immense Angebot, das jungen Menschen heute zur Verfügung steht. Darum muss es uns gelingen, dass wir jungen Menschen nicht irgendwelche, sondern gerade die Erfahrungsräume öffnen, die ihnen Zugänge zu ihren eigenen inneren geistlichen Antrieben und Fragen verschaffen, um selber Glaubensschritte zu entdecken. In meinen Augen ist das ein Alleinstellungsmerkmal kirchlicher Jugendpastoral im Vergleich mit all den anderen Freizeitangeboten. Unsere Jugendarbeit muss so gut sein, dass junge Menschen sie gerne wählen und mitmachen. Und wenn sie dabei Gott bei sich finden und Jesus als Bezugsperson wählen können, dann hat sie ihr wichtigstes Ziel erreicht!

In Ihrer Predigt zum 50-jährigen Jubiläum des Ökumenismusdekretes Unitatis Redintegratio haben Sie von der Erneuerung der Kirche gesprochen. Eine Erneuerung, die sich durch das Wort des Herrn in der Geisteshaltung der Christen Geltung verschafft. Sie sagten wörtlich: „Die Ökumene ist ein geistlicher Durchbruch, eine geistliche Bestätigung des Anliegens der Reformatoren, die ja die ganze Kirche aus dem Ursinn des Evangeliums heraus erneuern wollten." Was genau haben Sie damit gemeint?

Martin Luther hatte sich nicht vorgenommen, aus einer Kirche zwei zu machen!

Sein Anliegen war es, Missstände in der Kirche beim Namen zu nennen und andere Sichtweisen auf damals ganz aktuelle Fragen in Umlauf zu bringen. Er war überzeugt, dass dazu die Urkunde des Glaubens, die Heilige Schrift, genügt und sie einfach nur wieder genauer gelesen, ausgelegt und angewendet werden müsse.

Leider wurde aus diesem Erneuerungs- und Reformbestreben aber rasch ein tiefer Streit. Sehr bald wurde nicht mehr nur theologisch und geistlich miteinander um die richtige Auffassung gerungen, sondern der Streit wurde politisch, öffentlich und zu einem Konflikt um die Verteilung der Macht, nicht etwa nur in der Kirche, sondern auch im damaligen Staat. Schließlich zerriss die Einheit der Kirche. Zwei und mehr Konfessionen (Bekenntnisse) formten sich und stellten sich gegeneinander auf.

Erst heute, durch die Ökumene, sind wir dabei, die geistlichen und theologischen Anliegen der Reformation tiefer auszuwerten und zu unterscheiden. Es geht auch um Versöhnung und um die gemeinsame Suche, wie wir wieder eine gemeinsame Kirche werden können. Viel ist schon geschehen, aber noch immer ist die Ökumene auch mühsam, denn 500 Jahre Trennung bedeuten ja auch sehr lange und getrennte Entwicklungen auf allen Seiten.

Das Schöne und Überraschende an der Ökumene ist aber, dass sogar 500 Jahre Trennung uns nicht so fremd machen konnten, dass ein neues Zusammensein und die Sehnsucht danach nicht mehr möglich wären! Ich glaube, Gott selber hat dafür gesorgt, dass die Christen wieder zusammenwachsen sollen! 

In Nordrhein-Westfalen leben fast 1,5 Millionen Muslime, darunter über 349.000 Schülerinnen und Schüler. Nach einer aktuellen Studie wünschen sich mehr als 83 Prozent der muslimischen Bürgerinnen und Bürger einen bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht. Daher sei es folgerichtig und notwendig, den Schülerinnen und Schülern den islamischen Religionsunterricht anzubieten. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Religionsunterricht soll die Schülerinnen und Schüler mit dem eigenen Glauben und auch mit anderen Religionen so vertraut machen, dass zwei Dinge möglich werden. Zum Einen: ein Überblick, der Zusammenhänge verstehen lässt, Unterscheidung, Einordnung einübt und Fachwissen vermittelt.

Das Zweite, das dabei entstehen soll, ist die Fähigkeit, ein persönliches Verhältnis zur eigenen Religion aufzubauen: dass ich selber entscheiden muss, ob ich glaube, warum und wie, und dass ich unterstützt werde, einen eigenen Erwachsenenglauben aufzubauen. Das alles muss auch für einen islamischen Unterricht gelten. In den meisten Bundesländern in Deutschland gilt deshalb: Religionsunterricht wird an der Schule erteilt. Die Kirchen selbst bestimmen über die Inhalte des Unterrichtes. Die staatliche Schulbehörde achtet darauf, dass diese Inhalte nicht gegen die staatlichen Gesetze und die Verfassung verstoßen. Und der Staat sorgt dafür, dass der Unterricht geregelt stattfinden kann.

Ein solches Zusammenspiel muss auch mit den Muslimen gesucht werden. Der Staat verordnet niemandem religiöse Inhalte! Der Staat muss unbedingt selbst religiös neutral sein. Aber er soll freundlich sein zu den Religionen und sie fördern. Islamischer wie katholischer oder evangelischer Religionsunterricht darf deshalb weder nationalistisch deutsch, noch türkisch noch arabisch oder sonst etwas sein, sondern er muss sich auf die religiösen Inhalte beschränken. So hilft der Religionsunterricht auch dabei, gegenüber dem eigenen Staat ein freies und emanzipiertes Verhältnis zu gewinnen.

Veröffentlicht am 27.07.17

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Wie sagte schon Bacon: „Wissen ist Macht!“
*Francis Bacon, 1561 - 1625, Philosoph & Jurist
 

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