5 Fragen — 5 Antworten mit Dr. Reinhard Radke
Dr. Reinhard Radke (1948 in Liepen geboren) ist ein deutscher Verhaltensbiologe, Ökologe und Tierfilmer. Neben zahlreichen Filmen und Tierdokumentationen hat er 2011 den Film Serengeti gedreht.
Die Frage, was man nach der Schule vorhat, nervt nicht nur die Abschlussklassen. Mit der Antwort „Irgendetwas mit …....“ zählen einige Schüler schon zu den Entschlossenen. Den eigenen Interessen folgen oder einen sicheren Weg gehen? Wozu würden Sie jungen Menschen heute raten?
Es gilt heute als Binsenweisheit, dass künftige Berufswege ständiges neues Lernen, Flexibilität und Bereitschaft zum Wechsel erfordern werden. Eigentlich war dies aber schon immer so. Grundsätzlich sollte man sich möglichst objektiv prüfen, ob man irgendwelche erkennbaren Stärken oder Schwächen hat, die es zu nutzen oder meiden gilt.
Ich rate, dann schrittweise vorzugehen und auf der jeweils erworbenen beruflichen Basis für Neuerungen offen zu sein: Dann kann man dann auch mal eigenen, scheinbar irrationalen Wünschen folgen.
Beispielsweise war ich in den 1960ern zunächst Handwerker, dann Techniker, dann Ingenieur – bevor ich Biologie studierte und nach meiner Promotion in die freiberufliche Medienarbeit ging. Biologie und Medien waren meine naiven Wunschträume, die aber längst keine „sichere“ Perspektive bildeten. Es gab für mich immer die Rückversicherung, in meine alten Berufsfelder zurückzugehen, wenn meine Illusionen platzen sollten (abgesehen davon, dass eine solide berufliche Ausbildung sich immer lohnt!)
Durch den Tweet der damals 17-jährigen Schülerin Naina, in dem der Wunsch nach "mehr lebensnahem Unterricht" geäußert wurde und Themen wie z.B. Steuern, Miete und Versicherungen mit behandelt werden sollten, wurde die Diskussion um die Wissensvermittlung an unseren Schulen wieder neu befeuert. Wie ist Ihre Meinung zu diesem Thema, bereitet Schule zu wenig auf das Leben vor?
Es erscheint mir heute manchmal frappierend, was alles dem Schulunterricht aufgebürdet werden soll. Schule ist keine Ausbildung zu irgendeiner speziellen Fertigkeit (wie Steuerberater oder Immobilienmakler), sondern soll möglichst helfen, vorhandene Talente zu erkennen und diese zu fördern.
Wissen um alltägliche Routinen in der Gesellschaft sollte meiner Meinung nach aus der Familie kommen und dort beim Heranwachsen schrittweise von den Eltern vermittelt werden. Wenn Jugendliche solche Tätigkeiten in der Schule lernen, ist das bald viel unnützer Ballast, weil Technik und Organisation sich immer schneller ändern. Die knappe Schulzeit sollte eher eine gute Grundlage bilden, die vermittelt, wie man „Lernen lernen kann“ – also später effektiv spezifisches berufliches Wissen erwirbt.
Da beißt die Maus keinen Faden ab: Ohne solide mathematische und sprachliche Bildung kommt man nicht weit.
Serengeti ist eine deutsche Kinodokumentation von Ihnen aus dem Jahr 2011. Der Film beschäftigt sich mit dem Leben der Tiere im Serengeti- Nationalpark. Wie ist es heute um die Serengeti bestellt?
Im Prinzip scheint alles unverändert. Der Park ist noch immer wunderschön und Tiere gibt es scheinbar unerschöpflich. Die Veränderungen kommen schleichend, vor allem durch die rapide wachsende Bevölkerung ringsum.
Besucher können ökologische Veränderungen selten wahrnehmen, weil sie keinen langfristigen Vergleich haben. Die wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus ist die wichtigste Rettungsleine für Gebiete wie die Serengeti. Deshalb ist es, - bei aller Kritik an dem weltumspannenden Flugverkehr, - wichtig, solche fernen Regionen eben doch zu besuchen.
Ob die Mittel, die Touristen ins Land bringen, dann tatsächlich der breiten Bevölkerung (oder gar den Tieren) zugutekommen ist eine andere Frage und liegt in der Hand der lokalen Regierungen.
In Ihrem Film Serengeti nehmen die Gnus die Hauptrolle ein. Riesige Herden wandern durch die 30.000 Quadratkilometer große Savanne, um der Dürre zu entkommen. Warum ausgerechnet Gnus?
Weil diese Antilopen unter den Bedingungen der Serengeti optimal angepasst sind. Sie sind effiziente Grasverwerter, soziobiologisch und ökologisch flexibel, mit einer energetisch günstigen Fortbewegung. Kurz: Sie nutzen die Ressourcen von saisonal stark variierenden Grasländern besser als konkurrierende Antilopen.
In der Dokumentation nutzte ich die Wanderung der Gnu Herden als Erzählfaden, der den Zuschauer zwanglos durch die Serengeti führt und dabei Einsichten in die verschiedenen Regionen, die Auswirkungen der Geologie, des Klimas und Wechselwirkungen zwischen den Arten gibt.
Natürlich muss das dann auch möglichst spannend sein und da bieten Gnus ja genügend Material.
Können Tierfilme die Natur retten und die Artenvielfalt bewahren oder andersherum können bedrohte Arten vor dem Aussterben geschützt werden?
Sicher können bedrohte Arten prinzipiell vor dem Aussterben geschützt werden und da gibt es durchaus vorzeigbare, ermutigende Erfolge. Ob dieser Ansatz weltweit zu einem stabilen Naturzustand führt, den wir dringend zum Überleben der Menschheit brauchen, ist aber eine andere Frage.
Wenn man es positiv sieht, setzt die Rettung charismatischer Arten viele emotionale Ressourcen frei, was dann auch monetären und persönliche Einsatz nach sich zieht. Im besten Fall ermöglicht das dann, größere Lebensräume zu erhalten. Sieht man es kritisch, kann dies zu einer frühzeitigen, unangemessenen Beruhigung führen: schaut, wir schaffen das schon. Ob wir aber in der Lage sind, die ökologischen Probleme wirklich zu lösen, hängt nicht von einzelnen Arten ab.
Tierfilme sind für mich wichtige Werkzeuge, um das Wissen um ökologische Zusammenhänge auch bei naturwissenschaftlich weniger Interessierten immer wieder ins Bewusstsein zu rufen. Es lassen sich dabei auch emotionale Ebenen ansprechen, auf denen dann Informationen wahrgenommen werden, die für viele Menschen sonst eher nur am Rande existieren.
Man muss aber realistisch bleiben: Tierfilme retten sicher nicht die Natur, das können nur wir: als wählende und konsumierende Bürger.