5 Fragen — 5 Antworten mit Professor Niels Pinkwart
Professor Niels Pinkwart (1974 in Orsoy geboren) ist Vizepräsident für Studium und Lehre sowie Professor für Didaktik der Informatik und Informatik und Gesellschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zudem ist er Wissenschaftlicher Direktor des Forschungsbereichs Educational Technology Lab am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Berlin.
Die Frage, was man nach der Schule vorhat, nervt nicht nur die Abschlussklassen. Mit der Antwort „Irgendetwas mit …....“ zählen einige Schüler schon zu den Entschlossenen. Den eigenen Interessen folgen oder einen sicheren Weg gehen? Wozu würden Sie jungen Menschen heute raten?
Ganz klar: den eigenen Interessen folgen! Der vermeintlich „sichere Weg“ kann sich angesichts der Dynamik, die derzeit in vielen Branchen beobachtbar ist, vielleicht schneller als angenommen als doch nicht ganz so zukunftsfest erweisen. Für die Zeit nach der Schule ist eine wirtschaftlich gesicherte Existenz natürlich eine wichtige Perspektive. Aber nach meinen Erfahrungen ist diese viel leichter zu erreichen, wenn man auch Freude an dem hat was man tut.
Durch den Tweet der damals 17-jährigen Schülerin Naina, in dem der Wunsch nach "mehr lebensnahem Unterricht" geäußert wurde und Themen wie z.B. Steuern, Miete und Versicherungen mit behandelt werden sollten, wurde die Diskussion um die Wissensvermittlung an unseren Schulen wieder neu befeuert. Wie ist Ihre Meinung zu diesem Thema, bereitet Schule zu wenig auf das Leben vor?
Ich glaube, das kann man so pauschal nicht sagen. Natürlich haben Schulen den Auftrag der Allgemeinbildung, und dazu gehören praktische Dinge. Viele Schulen leisten auch hervorragendes und sehr „lebensnahes“ im Bereich der beruflichen Orientierung. Gleichzeitig müssen und sollen Schulen aber auch vieles andere leisten – Gymnasien z.B. die SchülerInnen zur Studierfähigkeit führen. In der Tat ist es aber ja z.B. durchaus möglich, das Thema Steuern schulisch zu behandeln, etwa überfachlich zwischen Mathematik und Politik, und dabei sowohl allgemeinere Themen wie soziale Gerechtigkeit und Berechnungsverfahren zu behandeln als auch konkrete, „lebensnahe“ Beispiele zu verwenden.
Alle Beteiligten, die sich mit KI-Systemen beschäftigen, tragen eine sehr hohe Verantwortung. Je mehr Lebensbereiche KI-Systeme berühren, desto wichtiger wird es auch, ethische und soziale Herausforderungen zu bedenken. Wie trägt Ihr Labor dem Rechnung?
Wir erforschen z.B. KI-Anwendungen in der Bildung, in Inklusionskontexten oder auch im Zusammenhang mit medizinischen Anwendungen. In vielen dieser Projekte spielen ethische und soziale Dimensionen eine wichtige Rolle – z.B. bei möglicher algorithmischer Diskriminierung oder bei der Delegation vormals menschlicher Aufgaben an Technik mitsamt Fragen von Verantwortung. Daher sind diese Themen integraler Bestandteil der Projektarbeit und begleiten die Forschung von den frühen Phasen an. Für die resultierenden Ergebnisse im praktischen Einsatz gibt es in Europa mit dem AI Act seit kurzer Zeit auch einen rechtlichen Rahmen.
Die KI schreibt Texte in einer Qualität, die von der von Menschen geschriebenen Texten kaum zu unterscheiden sind. Da ist natürlich die Versuchung für Schüler*innen groß, damit auch Referate und Hausarbeiten zu schreiben. Die deutschen Kultusminister gehen die KI-Revolution jedoch eher gemächlich an, hinkt hier Deutschland mal wieder eine Entwicklung hinterher?
Wir handeln in Deutschland sicher nicht so schnell wie es eigentlich nötig wäre. Hier sind andere Länder mit zentraleren Entscheidungs- und Umsetzungsstrukturen wie z.B. China schneller. Die derzeitige atemberaubende Geschwindigkeit der technischen KI-Entwicklung kann aber kein Land der Welt im Bildungssystem abbilden. Wichtig ist – und da liegen wir auf der richtigen Linie – dass wir das Thema KI nicht nur als potenzielle Gefahr im Zusammenhang „Schummeln bei Prüfungen“ thematisieren, sondern wesentlich breiter und dabei auch die Chancen sehen. Das passiert in Deutschland und Europa zum Glück auch.
Wer heute im Kindergartenalter ist, gehört zur ersten echten KI-Generation. Was aber müssen diese Kinder überhaupt lernen, um zukünftig zu bestehen und erfolgreich sein zu können?
Diese Frage nach künftig notwendigen Kompetenzen im „KI-Zeitalter“ treibt aktuell sehr viele Menschen in Wissenschaft, Politik und Praxis um, und das nicht nur in Deutschland. Für Europa wurde kürzlich ein international abgestimmter Kompetenzrahmen für den Schulbereich vorgestellt: das AI Literacy Framework for Primary and Secondary Education. Hier wird skizziert, wie KI-Kompetenzen bereits in der Grundschule und Sekundarstufe vermittelt werden können. Es geht dabei nicht nur um technisches Wissen über Daten, Algorithmen oder Modelltraining, sondern auch um kritisches Denken, ethische Reflexion, gesellschaftliche Auswirkungen und kreative Anwendung von KI.