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5 Fragen — 5 Antworten: Mit Marion Lieser

11. Mai 2017

Marion Lieser (1961 in Heidelberg geboren) ist Geschäftsführerin von Oxfam Deutschland e.V.

Oxfam Deutschland e.V. ist eine unabhängige Nonprofit-Organisation, deren Ziel es ist, Nothilfe zu leisten und nachhaltig Armut zu überwinden. wissensschule tauschte sich mit ihr über ihre Berufung zur Entwicklungshilfe, Hungersnot und finanzielles Ungleichgewicht auf der Welt aus.

Foto-Johanna Schwabe

Die Frage, was man nach dem Abitur vorhat, nervt nicht nur die Abschlussklassen. Mit der Antwort „Irgendetwas mit …....“ zählen einige Schüler schon zu den Entschlossenen. Direkt ins Studium, eine Ausbildung machen oder  im Ausland erste Erfahrungen sammeln? Den eigenen Interessen folgen oder einen sicheren Weg gehen? Wozu würden Sie jungen Menschen raten? 

Das Wort ‚Beruf‘ kommt von ‚Berufung‘ und jeder Mensch, der genau weiß, was er im Arbeitsleben vollbringen möchte, sollte sich nicht von Bedenkenträgerei davon abbringen lassen und genau das tun, was er mit Engagement und Leidenschaft machen möchte.

Bei Unsicherheit würde ich versuchen, meine zwei bis drei größten Talente oder Interessen zu identifizieren und um diese herum Berufsbilder kennenlernen - z.B. durch Reisen/ Auslandsaufenthalte, bei denen zusätzliche Sprachkompetenz erworben wird oder durch Praktika, bzw. kleine Jobs. Es muss auch nicht immer ein Studium sein. Es gibt viele handwerkliche Berufe oder Fachhochschuloptionen, die einem Laufbahnen ermöglichen (auch in die Selbständigkeit oder das Unternehmertum, was in Deutschland viele Menschen scheuen), die sich recht individuell kombinieren lassen. Vor allem ist es wichtig, sich eine gewisse Offenheit zu bewahren und immer wieder in sich hinein zu hören. Denn man möchte ja bei einer Tätigkeit, bei der man einen Großteil seiner Lebenszeit verbringt, auch Zufriedenheit oder gar eine gewisse berufliche Erfüllung erleben.

Durch den Tweet der damals 17-jährigen Schülerin Naina, in dem der Wunsch nach "mehr lebensnahem Unterricht" geäußert wurde und Themen wie z.B. Steuern, Miete und Versicherungen  mit behandelt werden sollten, wird die Diskussion um die Wissensvermittlung an unseren Schulen wieder neu befeuert. Wie ist Ihre Meinung zu diesem Thema, bereitet Schule zu wenig auf das Leben vor? 

Ich habe es an den Schulen gesehen, die meine drei Kinder besuch(t)en, dass sich vermehrt damit beschäftigt wird, lebensnah und realistisch Inhalte zu vermitteln. Das gelingt mal besser, mal schlechter und kommt stark auf die Lehrkraft an. Schule soll aufs Leben vorbereiten, aber auch Erziehungsberechtigte haben diesbezüglich eine Verantwortung zu erfüllen. Auch sie sollten sich damit auseinandersetzen, ihre Kinder auf das Leben ‚draußen‘ vorzubereiten. Es ist einfach, jegliche Verantwortung an die Schule oder andere übergeordnete Institutionen abzugeben. Doch  öffentliche Systeme haben Grenzen und sind nur erfolgreich, wenn sie Hand in Hand mit den Erziehungsberechtigten arbeiten. Dafür müssen sich alle an der Erziehung beteiligten Akteure Zeit nehmen. Und die ist leider knapp bemessen und kann sich auch nicht per App heruntergeladen werden. 

Wussten Sie schon als Kind, dass Sie später einmal in der Entwicklungshilfe arbeiten werden und wenn ja, was waren dafür die ausschlaggebenden Gründe , Helfersyndrom, Gerechtigkeitsfanatikerin oder Weltverbesserin?

In der Tat habe ich das Glück gehabt, bereits im Kindergarten eine Vision für mein Leben entwickelt zu haben: Ich wollte als Ärztin nach Afrika und helfen. Nun bin ich nicht Ärztin geworden und habe mich entlang meiner Lebenslinie auch noch von anderen Träumen verabschieden müssen, aber der Kern des ‚helfen wollen‘ ist in allen meinen beruflichen Stationen erhalten geblieben. Ebenso der Ansatz, vieles, worüber man spricht oder schreibt, selbst erfahren zu haben. Dabei war es sehr lehrreich als Entwicklungshelferin in den 80er Jahren vier Jahre lang im Sudan gearbeitet zu haben oder später in Kenia und Tansania. Zu wissen, wie sich Unzulänglichkeiten in der täglichen Versorgung anfühlen, wenn man z.B. Lebensmittel nur eingeschränkt oder gar nicht erhalten kann. Was es bedeutet, tagelang keinen Strom zu haben oder das Wasser nicht aus einer funktionierenden Leitung zu erhalten, stimmen einen doch immer wieder nachdenklich. Und wenn man dann weiß, dass dies alles nicht so sein müsste, will man mehr bewegen und hier nachhaltige Veränderung schaffen. Darum bin ich sehr dankbar, dass ich für eine Organisation arbeiten darf, die genau das tut: sich nämlich auf politischer Ebene für die Rahmenbedingungen einer sicheren, gerechten und somit lebenswerten Welt ohne Armut einsetzt, aber gleichzeitig auch den Menschen in konkreter Not hilft und mit ihnen gemeinsam  Wege aus ihrer Notlage versucht zu finden. 

Fast eine Milliarde Menschen hungern, weil sie keinen Zugang zu Nahrung haben. Was muss noch passieren, bis wir Menschen verstehen, dass wir auch mit unserem Konsumverhalten dazu beitragen können, die Hungersnot der Menschen zu lindern?

Die derzeitige Situation, die auch durch Kriege und Konflikte zum Hunger in der Welt beiträgt, ist unerträglich. Die Weltgemeinschaft kann nicht zulassen, dass so viele Menschen Not leiden. Es ist daher gut, dass immer mehr Menschen erkennen, wie sie und ihr Verhalten Einfluss darauf haben, in welche Richtung sich unsere Welt in den nächsten Jahren und Jahrzehnten entwickelt. Klimawandel, Armut, Welternährung, Ressourcenverknappung: Wir alle können etwas in unserem individuellen Umfeld dagegen tun. Fair gehandelte Produkte zu kaufen (z.B. Kaffee, Tee, Schokolade oder Bananen), kann die Lebenssituation vieler Menschen enorm verbessern. Und wenn wir darauf achten, dass unser Essen nicht im Müll landet, haben wir weiter dazu beigetragen durch weniger Verschwendung und gezielten Konsum dies zu unterstützen. Ebenso hat eine sehr fleischreiche Ernährung nicht nur negative Auswirkungen auf die Gesundheit, sondern ebenso auf die Umwelt. Und mit dem effizienten Umgang mit elektrischen Geräten können wir den Energiekonsum wesentlich verringern. Grundsätzlich ist es so, dass sich Konsum und Nachhaltigkeit nicht zwangsläufig ausschließen und wir über das Teilen, Tauschen oder Wiederverwenden von Dingen (Kleidung, Möbel, Haushaltswaren) durchaus nachhaltig konsumieren können, was meist noch mehr Spaß macht, als konventionelles shoppen.

Die 62 reichsten Menschen auf der Welt besitzen so viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Was sind die Gründe für diese enorme Konzentration und was muss unternommen werden, um hier gegen zu steuern?

Es stimmt: Die Schere zwischen Arm und Reich wächst schneller als wir alle bisher vermutet haben. Acht Milliardäre besitzen genauso viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Solche Fakten machen fassungslos und wir brauchen endlich eine Politik, die das globale Wirtschaftssystem zum Diener der Menschen macht und nicht umgekehrt.

Aber auch reiche Länder sind von sozialer Ungleichheit betroffen: In Deutschland besitzen 36 Milliardäre so viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung.  Die Konzentration von Reichtum in den Händen weniger nimmt ständig zu, während auf der anderen Seite Hunderttausende nicht genug zu essen haben und Milliarden Menschen mehr schlecht als recht leben. Das hängt unter anderem mit der Macht internationaler Konzerne zusammen, die oft aggressive Steuervermeidungs-Techniken nutzen oder ihre Gewinne in Steueroasen verschieben. Dadurch kommt es zu einer Situation, in der ganze Staaten in einen ruinösen Wettlauf um Niedrigsteuersätze getrieben werden. Daher sollte ein weltweiter Mindeststeuersatz für Konzerne eingeführt werden und Steueroasen müssen trockengelegt werden. Darüber hinaus braucht es auf internationaler Ebene Gesetze, die Konzerne stärker in die Pflicht nehmen. Zum Beispiel dadurch, dass sie offenlegen müssen, wo und in welcher Höhe sie Steuern zahlen. Aber auch reiche Einzelpersonen verstecken ihren üppigen Reichtum gerne vor dem Fiskus. Um diese Ungerechtigkeit zu beendet, reichen  wohlmeinende Appelle nicht aus. Wir brauchen  gesetzliche Rahmenbedingungen, die verhindern, dass enorme Geldsummen im Ausland versteckt werden.

Veröffentlicht am 11.05.17

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Wie sagte schon Bacon: „Wissen ist Macht!“
*Francis Bacon, 1561 - 1625, Philosoph & Jurist
 

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