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5 Fragen – 5 Antworten “Schule_digital” mit Felix Nattermann

2. März 2021

In unserer Rubrik “SCHULE_DIGITAL” wollen wir Wissensvermittler zu unterschiedlichen Themen im Bereich „Digitale Bildung“ zu Wort kommen lassen und um ihre Meinung fragen. Heute tauscht sich wissensschule dazu mit Felix Nattermann aus. Er unterrichtet am Gymnasium am Geroweiher in Mönchengladbach die Fächer Mathematik und Informatik, ist Preisträger vom Deutschen Lehrerpreis und leitet den CodeClub, eine Computer AG mit 120 Schülerinnen und Schülern.

Das Homeschooling in der Corona-Zeit war und ist für die meisten Schülerinnen und Schüler mehr als unbefriedigend. Die von der Deutschen-Telekom-Stiftung beauftragte Umfrage hat ergeben, dass Schulen und Lehrkräfte Wissen in Zeiten von Corona herkömmlich vermitteln. Warum hinkt Deutschland auch hier einmal mehr wieder hinterher?

Inzwischen glaube ich, dass das gar kein Problem deutscher Schulen, sondern ein Grund aus deutsches Problem an sich ist. Wir Lehrer sind an deutschen Schulen selber so sozialisiert worden und geben es entsprechend weiter. Wir gehen auf Nummer sicher, warten lieber ab, als was Falsches zu machen, planen alles gut durch und warten auf passende Voraussetzungen.

Das war früher auch ein guter und gangbarer Weg, hat er uns doch viel Wohlstand gebracht und Waren „made in Germany“ waren bekannt für ihre gute Qualität. Wir haben aber leider nicht den Absprung geschafft. Die USA, China und auch einige andere Länder überholen uns. Eine sich ständig ändernde Welt verlangt nach neuen Strukturen und Methoden. Nur ein Beispiel aus der Softwareindustrie. Während man früher eine Software zunächst gut analysiert hat, dann geplant, dann implementiert und letztlich getestet hat, macht man dies heute mit Methoden wie zum Beispiel Scrum gänzlich anders. Der Markt, die Welt, die Anforderungen ändern sich viel zu schnell, als dass man dieses veraltete Vorgehen sinnvoll nutzen kann. Man muss erstmal anfangen, daraus lernen und dann weiterentwickeln.

Unser Schulsystem ist schon seit Jahrzehnten quasi stehengeblieben. Das zeigt sich gerade jetzt zu Coronazeiten, aber auch sonst im Alltag. Nicht die Politik war der Garant für ein erfolgreiches Onlineunterrichten zur Coronazeit, sondern letztlich waren es Lehrer, die an der ein oder anderen Schule mit viel Eigenengagement, was bewegt haben. Dafür musste man sich auch mal hier und da in die Nesseln setzen und auf Plattformen zurückgreifen, die nicht zu 100% dem Datenschutz genüge leisteten.

Es braucht also Initiative, Engagement, Flexibilität und auch mal den Mut, sich über Regeln hinwegzusetzen, um letztlich das Richtige zu tun.

Da waren wir aber auch nicht die einzige Schule, die das gemacht hat. Letztlich braucht es im deutschen Schulsystem also nicht nur mehr Digitalisierung, sondern auch ein ganz anderes Mindset. Dies im Lernplan, aber auch im kompletten System Schule.

Zum Nachteil der Schülerinnen und Schüler haben die Corona-bedingten Schulschließungen, die Schwachstellen der Digitalisierung des Bildungssystems in Deutschland offengelegt. In vielen Fällen mangelte es schon an grundlegenden Fundamenten der digitalen Bildung, wie moderner Ausstattung oder medienkompetenten Lehrerinnen und Lehrern. Hat nicht auch hier die Politik versagt, die wichtigen Impulse zu setzen? Wie ist Ihre Meinung dazu?

In den zwei/drei Jahren scheint die Politik ja langsam aufgewacht zu sein. So gibt sie endlich mal ein wenig Geld in das System, damit sich Schulen ein WLAN aufbauen und sich auch ein paar Rechner und Beamer leisten können. Damit sind schon mal Grundvoraussetzungen geschaffen. Ich würde sagen, damit haben wir 10% der Herausforderung abgeschlossen. Bleiben noch 90%: Wir brauchen regelmäßig Gelder, weil Technik schnell veraltet. Wir brauchen IT-Personal an den Schulen, die sich um die Technik kümmern. Wir benötigen Fortbildungen für Lehrer. Medienbildung und Informatik müssten als verbindliche Fächer aufgenommen werden. Dann hätten wir schon in Summe 50% geschafft. Also die Hälfte. Was richtig schwer wird, sind die anderen 50%: Das digitale Mindset, eine Disruption in der Schule, andere Strukturen, ... Wir müssen das träge System Schule neu denken.

Das machen übrigens schon ziemlich viele. Im Netz findet man viele Initiativen, die das Problem schon längst erkannt haben. Es gibt auch schon Schulen, die sich da auf den Weg gemacht haben. Aber bislang ist scheinbar da noch nichts im Ministerium von angekommen.

An Ihrem Gymnasium wird schon lange mit digitalen Medien gearbeitet. Wie sieht der Online-Unterricht in Zeiten von Corona an Ihrer Schule aus, welche Hürden gab es zu überwinden und was unterscheidet Ihre Schule von den meisten anderen?

Wir haben sehr schnell reagiert. Einzelne Lehrer waren schon im ersten Lockdown, als am Freitag die Schulen geschlossen wurden, am Montag online unterwegs. Jeder auf seine Weise. Dann haben wir uns für eine synchrone (also Audio/Video-Konferenz) Plattform entschieden und in den Osterferien 2020 eine Woche lang die Lehrer im Onlineunterricht geschult. Wer hat geschult? Die Schüler haben großartige Workshops von morgens bis abends geleitet. Sie haben unsere Lehrer in den Werkzeugen fit gemacht. Ergänzt wurde das Angebot von etlichen Workshops von Lehrern, die bis dahin schon im Lockdown online unterrichtet hatten und nun didaktische Tipps geben konnte.

So hatten wir nachher wieder einen verlässlichen Unterricht nach Stundenplan. Auch wir lernten dazu und merkten schnell, dass synchroner Onlineunterricht von 8 bis 14 Uhr für alle Beteiligten zu schwer war. Wir haben unser System dann recht schnell angepasst und unterrichten nun jede zweite Stunde synchron und zwischendurch gibt es asynchronen Unterricht, also Aufgaben und Selbstlernkapitel über diverse Plattformen.

Eine gewisse Hürde war es am Anfang alle Kollegen mitzunehmen und sie in der Nutzung der Onlineplattformen fitzubekommen. Aber dies ging nachher viel besser als gedacht. Auch die Erreichbarkeit der Schüler war anfangs nicht leicht, brauchte man doch zunächst irgendwie von jedem Schüler eine Emailadresse. Wenn man sie aber erstmal alle auf einer Plattform hat und so auch eine Kommunikationsbasis geschaffen hatte, war nachher alles einfacher.

Wie gesagt gibt es auch andere Schulen, die so einen ähnlichen Weg gegangen sind. Aber es gibt halt auch Schulen, die ihn nicht gegangen sind. Die auf Vorgaben von oben gewartet haben. „Oben“ hatte aber leider keine Plattform, die zu 100% legal war und konnte so auch nichts reingeben. Schulen, die darauf gewartet haben, warteten entsprechend lange.

Für wie effizient halten Sie den Unterricht fernab der Klasse und womit lässt sich das belegen?

Eine wissenschaftliche Studie habe ich dazu nun nicht gemacht, aber wir haben einen guten Austausch im Kollegium. Die Effizienz hängt von vielen Faktoren ab: Dem Alter der Schüler, dem Fach, dem Lehrer, der technischen Ausstattung der Schüler und letztlich auch dem sozialen Umfeld. Ich für meinen Teil kann aber sagen, dass ich bei ungefähr 80% Wissensvermittlung beim Onlineunterricht im Vergleich zu 100% beim normalen Unterricht liege. Einen Oberstufenkurs Informatik mit 15 Schülern kommt fast auf 100%. Eine fünfte Klasse hingegen kommt zwar auch mit dem Onlineunterricht klar, aber alles braucht viel länger. Hier bin ich ggf. nur bei 60/70%. Dann gibt es etliche Schüler, die nur am Handy den Unterricht verfolgen und entsprechend nicht so einfach bei interaktiven Aufgaben teilnehmen können. Zudem – es sind bei uns zum Glück nur sehr wenige – verlieren wir auch ein paar Schüler. Diese kommen erst gar nicht zum Onlineunterricht oder spielen nebenbei am Computer.

Die wohl größte Herausforderung des digitalen Distanzunterrichts ist die fehlende soziale Nähe. Gibt es dazu an Ihrer Schule auch Empfehlungen/Handlungsweisen wie in diesen schwierigen Zeiten eine gute Lehrer-Schüler-Beziehung aufrechterhalten werden kann?

Und das ist der Punkt schlechthin. Alle reden über den verpassten Stoff. Der spielt in meinen Augen nur eine untergeordnete Rolle. Aber die Schule ist viel mehr als ein Ort der Wissensvermittlung. Die Schüler treffen sich dort mit Freunden, lernen sich in einer Gruppe zu behaupten, haben Lehrer als Ansprechpartner und noch vieles mehr.

Bei der Rückkehr aus dem Lockdown bräuchte es eigentlich weniger Mathe, Deutsch und Englisch, als gute Klassenleiterstunden, Sportunterricht, Arbeitsgemeinschaften und vor allem Klassenfahrten. Aber gerade das liegt nicht im Fokus der Politik und ist sogar noch größtenteils verboten.

Meiner Meinung nach ein riesiger Fehler. Vieles davon könnte man mit einem guten Testen trotzdem hinbekommen.

Ich bin Leiter vom CodeClub, einer Computer AG mit 120 Teilnehmern. Bei uns gibt es eine sehr ausgeprägte Gemeinschaft, die wir über Jahre aufgebaut haben. Corona ist ein absoluter Härtetest für uns. Wir treffen uns derzeitig einmal wöchentlich online zur normalen AG Zeit und halten unsere AG online ab. Darüber hinaus gibt es aber viele andere Aktivitäten. Es gibt jede Woche ein Wochenprogramm, wo Schüler Workshops für andere Schüler geben. Am Samstag wird immer gemeinsam online gekocht, auch feiern wir immer wieder mal gemeinsam einen Geburtstag online. Hier und da treffen sich auch Schüler zum gemeinsamen Onlinespielen von Gesellschaftsspielen. Dazu wird dann das Spielbrett mittels Kamera übertragen.

Auch sind einige ganz eigene Onlinespiele in dieser Zeit entstanden. Immerhin sind wir ein CodeClub und wissen zu programmieren.

Trotz alledem. Wir alle wünschen uns wieder ein normales CodeClub-Leben, mit unseren tollen CodeCamps in den Ferien. Und die Schüler unserer Schule wollen auch endlich wieder ihre Klassen- und Abschlussfahrten machen, sich wieder mal in den Arm nehmen und unbeschwert atmen können.

Kategorie:
Veröffentlicht am 02.03.21

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Wie sagte schon Bacon: „Wissen ist Macht!“
*Francis Bacon, 1561 - 1625, Philosoph & Jurist
 

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