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5 Fragen — 5 Antworten: Mit Felix Nattermann

13. März 2020

Felix Nattermann ist Mathe- und Informatiklehrer am Gymnasium am Geroweiher  in Mönchengladbach sowie Autor vom Buch "Gebt den Kindern die Verantwortung zurück". Für sein Engagement gewann er 2014 den Deutschen Lehrerpreis.

Sie kommen ursprünglich aus dem Bereich der Erlebnispädagogik. Nun hat ja das System Schule relativ wenig mit "Erlebnis" zu tun. Wie bringen Sie Ihren Schülern das Erlebnis "Schule" näher? 

Dazu gibt es zwei wichtige Sachen zu sagen: Zum einen: Es ist im System Schule mit dem vollgepackten Lernstoff gar nicht so leicht Schule zu einem „Erlebnis“ zu machen. Und zum anderen: Es ist aber um so wichtiger! Nur durch möglichst positive Emotionen verknüpfen Schüler ihr Gelerntes dauerhaft und nachhaltig. Ist der Unterricht langweilig, schalten sie schnell ab. Aber „Erlebnis“ ist mehr als nur ein spannender Unterricht – und Schule ist auch mehr als nur Unterricht. Auf meinem Haik, eine einwöchige Rucksackwanderung, die von den Schülern geleitet wird und wo wir teils mehrere Ländergrenzen überschreiten, lernen Schüler echte Verantwortung zu übernehmen und erleben zudem großartige Abenteuer. So wissen sie tagsüber noch nicht, wo sie abends unterkommen werden. Schüler im Alter zwischen 11 und 15 Jahren navigieren und bestimmen den Weg, sie kochen, achten auf die Materialien, kümmern sich um irgendwelche Unterkünfte oder führen die Kasse – ich laufe nur mit. Ein weiteres Beispiel ist der CodeClub, wo ebenfalls durch viele Gemeinschaftsaktionen letztlich ein „Erlebnis“ aus dem gemeinsamen Codenlernen wird. 

Beim Thema Medienkompetenz schneiden deutsche Schulen allgemein ja nicht so gut ab. Wie sind hier Ihre Erfahrungen und in welchen Bereichen sehen Sie noch Luft nach oben?

Zunächst einmal wird da viel zu viel zusammengeschmissen. Um gute Aussagen zu treffen, muss man zwischen 3 Bereichen differenzieren:

  1. ITG (InformationsTechnische-Grundbildung: Medienkompetenz, der Mensch als Anwender)
  2. Informatik (Programmieren, hinter die Systeme schauen und verstehen, Systeme modellieren – der Mensch als Kreateur digitaler Systeme)
  3. Werkzeuge (wir nutzen das iPad im Matheunterricht, den Computer zum Schreiben in Deutsch, ...)

Eine gute Ausstattung mit Werkzeugen ist die Grundlage für Medienkompetenz, bei weitem aber noch nicht ausreichend. Es bedarf Zeit und kompetentes Lehrpersonal, um diese so wichtigen Skills zu vermitteln. Auch unsere Schüler sind bei weitem nicht so Medienkompetent, wie sie manchmal denken. Nur weil man mit dem Handy ein Screenshot erstellen kann, weiß man noch lange nicht, wo welche Daten im Netz gespeichert werden, wie man mehrere Ebenen in einem Grafikprogramm anlegt, wie man sinnvoll eine Tabellenkalkulation nutzt oder wie Phishing-Mails arbeiten.

Wenn wir das Thema Medienkompetenz ernst nehmen wollen, dann braucht es:

  1. Eine gute IT-Ausstattung der Schulen – da ist man gerade dran.
  2. Zeit im Lernplan – sprich ein eigenes Fach ITG.
  3. Speziell ausgebildete Lehrkräfte, die in dieser sich so schnell ändernden Welt auch immer wieder am Ball bleiben und sich selber für die digitale Welt interessieren.

Auch heute gilt noch die Aussage "Schule soll auf das spätere Leben vorbereiten". Kann Schule das überhaupt leisten, wenn man sich z.B. das Thema Berufsvorbereitung anschaut? Wie wollen Lehrende, die nie etwas anderes als Schule kennen gelernt haben, beurteilen, wie die Berufswelt funktioniert und auf welche Schlüsselkompetenzen die Unternehmen besonderen Wert legen?

Teilweise haben Sie mit der These Recht, teilweise auch nicht. Wir sollen unsere Schüler auf das „Leben“ und nicht nur auf die Wirtschaft vorbereiten. Und da können wir Lehrer schon auf einen großen Wissensfundus zurückgreifen. Wir sind Experten im Bereich der Stoffvermittlung, haben zudem ein stark vertieftes Wissen im Bereich unserer studierten Fächer und dann ist da auch noch die erzieherische Komponente, die heutzutage immer mehr im Bereich der Schule liegt. Insofern sind Lehrer schon recht kompetent, was die Vorbereitung auf das spätere Leben angeht.

Auf der anderen Seite muss ich der obigen Aussage aber auch ein wenig Recht geben. Die Wirtschaft hat sich in der letzten Zeit, gerade durch die Digitalisierung, enorm verändert. Es sind nicht nur die Begriffe wie „Elevator Pitch“, „Fuckup-Nights“, „Pitch-Deck“, „Scrum“ oder „agiles arbeiten“, sondern dahinter stehen ganze Ideen, Einstellungen, ja fast schon Weltanschauungen, die sich in der Wirtschaft durchgesetzt haben. Eine Welt, die leider fast komplett am System Schule vorbeizieht. Ich bin sehr glücklich, dass sich meine Schule mit Freiarbeit, ihren Modulen, Austausch mit China, iPad-Räumen, CodeClub, EduScrum und vielen gemeinsamen Projekten mit der Wirtschaft auf den Weg macht und so versucht, den Anschluss an Wirtschaft, aber auch an die alltägliche digitale Welt nicht zu verlieren.

Hier muss ich einfach den CodeClub erwähnen. Das ist meine „Computer AG“, die inzwischen aus knapp 120 Teilnehmern besteht. Wir arbeiten viel mit Scrum und sind auch von unseren Strukturen sehr agil aufgestellt. Die Qualität unserer Absolventen ist derartig gut, dass einige von Ihnen direkt noch während ihrer Schulzeit von Firmen, wie z.B. imat-uve eingestellt werden. Die verdienen da nicht schlecht und haben zugleich noch mehr Einblicke in die reale Wirtschaft.

Neben der Tatsache, dass diese Schüler sehr gut programmieren können, können sie sich zudem gut organisieren, vor Leuten sprechen und arbeiten zudem zuverlässig ihre Aufgaben in den vereinbarten Zeiträumen ab. Sie denken mit und versetzen sich auch mal in die Lage eines Kunden.  

Der Begriff der "Helikoptereltern" macht schon seit Jahren die Runde. Eltern trauen offensichtlich ihren Kindern nichts mehr zu und möchten alles für sie machen. Damit erziehen sie sie zur Unselbstständigkeit und berauben sie wichtiger eigener Erfahrungen. Wie ist dazu Ihre Sicht der Dinge?

Ich denke, dass meine Position zu der Sache recht klar sein dürfte. Mich haben diese Helikoptereltern, aber auch die gesamtgesellschaftliche Bewegung in diese Richtung, sehr gestört. Daher auch mein Buch. Interessant ist, dass wenn ich mit Eltern über dieses Thema spreche, viele mir Recht geben. Sie selbst sind ja auch alleine zur Schule gegangen und durften sonst mehr selber entscheiden bzw. ihre Freizeit selber und frei nutzen. Auch begreifen die Eltern recht schnell, was sie für einen Schaden anrichten, wenn sie ihr Kind nur in Watte packen.

Also sachlich ist das Thema für viele Eltern klar. Auch sie wollen, dass ihre Kinder selbständiger werden. Aber emotional ist das nicht so leicht für die Eltern. Denn dazu muss man dem eigenen Kind mal etwas zutrauen und vor allem ihm vertrauen. Damit tun sich viele Eltern noch sehr schwer. Es ist aber für Eltern auch nicht so leicht, entgegen dem gesellschaftlichen Trend, das Kind ab der 1. Klasse seinen Schulweg selber gehen zu lassen, es mit 6 Jahren auch mal was im Laden einkaufen zu schicken oder es mit z.B. 11 Jahren alleine das Bahnfahren zuzutrauen.

Und dies sind nur ein paar von vielen Beispielen, wo Kinder mal selbstständig auf sich gestellt sind und selber Herausforderungen meistern müssen.

Was hat das jetzt mit Schule zu tun? Wir haben dann die Schüler, die komplett unselbstständig sind. Die bei jedem Konflikt mit den Mitschülern keine Konfliktlösestrategien kennen und so entweder zuschlagen oder bei jeder Kleinigkeit die Lehrer oder noch schlimmer die Eltern das Problem klären lassen. Schüler, die eine halbe Stunde lang nicht mitschreiben, nur weil ihr Heft voll war. Selber auf die Idee zu kommen nach einem Zettel zu fragen hat sie schlicht überfordert. Die Liste ist lang, wobei ich sagen muss, dass wir zum Glück auch ganz tolle und sehr selbstständige Schüler haben. Und auch unsere Eltern sind überwiegend wirklich tolle Eltern. 

In Ihrem Buch "Gebt den Kindern die Verantwortung zurück" plädieren Sie dafür, die Kinder frühzeitig loszulassen. Wie aber wollen Sie Eltern davon überzeugen dies zu tun, so sie doch felsenfest der Meinung sind, nur das Beste für ihr Kind tun zu wollen?

Das ist wirklich schwer. Hier kommt man mit rationalen Argumenten auch wenig weit, da die meisten Entscheidungen auf emotionaler Basis getroffen werden. Aber ich muss auch nicht zwangsläufig alle Eltern davon überzeugen – kann ich auch nicht. Was ich machen kann ist, dass ich durch den Haik, durch den CodeClub, wie ich als Klassenleiter mit meinen Schülern umgehe und mit welchen Methoden ich meinen Unterricht gestallte meinen Schülern die Möglichkeit eröffne, sich auf neue Herausforderungen einzulassen. Haben sie einmal die Luft von echter Verantwortung, von spannenden Projekten, von wirklicher Mitbestimmung, Gemeinschaft, Freiheit, Leidenschaft und resultierendem Erfolg eingeatmet, so lässt es sie kaum noch los. Dann wollen sie. Es gibt aber auch viele Eltern, die genau hinter dieser Pädagogik stehen und daher ganz bewusst ihre Kinder dabei unterstützen.

Veröffentlicht am 13.03.20

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Wie sagte schon Bacon: „Wissen ist Macht!“
*Francis Bacon, 1561 - 1625, Philosoph & Jurist
 

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