5 Fragen — 5 Antworten mit Professorin Katrin Böhning-Gaese
Professorin Katrin Böhning-Gaese (1964 in Oberkochen geboren) ist eine deutsche Biologin mit dem Schwerpunkt Ornithologie, Professorin an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und wissenschaftliche Geschäftsführerin des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung – UFZ. Sie erforscht den Einfluss von Klima- und Landnutzungswandel auf die Lebensgemeinschaft von Tieren.
Die Frage, was man nach der Schule vorhat, nervt nicht nur die Abschlussklassen. Mit der Antwort „Irgendetwas mit …....“ zählen einige Schüler schon zu den Entschlossenen. Den eigenen Interessen folgen oder einen sicheren Weg gehen? Wozu würden Sie jungen Menschen heute raten?
Ich würde jungen Menschen auf jeden Fall dazu raten, den eigenen Neigungen und Interessen zu folgen. Nur wer Leidenschaft für etwas empfindet, kann darin auch richtig gut werden und auf Dauer Zufriedenheit finden. Der Arbeitsmarkt ist heute im Übrigen ganz anders als früher. Als ich damals Biologie studierte, war keineswegs sicher, dass es danach auch gute Jobs geben würde. Aber ich war immer mit Feuereifer bei der Sache – das hat sich letztlich ausgezahlt. Deshalb lautet mein Rat ganz klar: folge deinem Herzen. Und bleibe flexibel. Diese Kombination wird dann schon irgendwann auf den richtigen Weg führen.
Durch den Tweet der damals 17-jährigen Schülerin Naina, in dem der Wunsch nach "mehr lebensnahem Unterricht" geäußert wurde und Themen wie z.B. Steuern, Miete und Versicherungen mit behandelt werden sollten, wird die Diskussion um die Wissensvermittlung an unseren Schulen wieder neu befeuert. Wie ist Ihre Meinung zu diesem Thema, bereitet Schule zu wenig auf das Leben vor?
Da ist sicherlich etwas dran. Die Welt ist kompliziert, von der Geldanlage bis zur Nahrungszubereitung – auch Alltagsdinge sind heute beinahe schon eine eigene Wissenschaft. Deshalb denke ich, dass sich die Wissensvermittlung in der Schule der neuen Komplexität stellen und jungen Menschen auch Lebenspraktisches mitgeben muss. Andererseits finde ich es durchaus reizvoll, wenn Gelerntes nicht sofort einen sichtbaren Nutzen hat. Manchmal entstehen die tollsten Erkenntnisse und Innovationen aus zweckfreiem Tun. Alles immer einem schon definierten Ziel unterzuordnen, schränkt den Geist ein, umzäunt das Denken gewissermaßen. Deshalb braucht es aus meiner Sicht eine gute Mischung aus beidem.
Gut eine Million der geschätzten acht Millionen Arten auf der Erde sind vom Aussterben bedroht. Die Bedeutung der Artenvielfalt für die Stabilität von Ökosystemen ist in der ökologischen Wissenschaft ein Thema, das seit mehr als 80 Jahren kontrovers diskutiert wird. Wie kann das Aussterben von Arten unser Ökosystem verändern?
Wir erleben derzeit eine fundamentale Umgestaltung unserer Welt. Jede achte Art ist vom Aussterben bedroht; die Aussterberate ist heute mindestens 10 bis 100 Mal höher als in den letzten 10 Millionen Jahren. Damit überformt der Mensch die Natur in beispielloser Weise. Das Tragische daran ist, der Prozess dieses Naturverlustes vollzieht sich schleichend, wie ein stilles Sterben, und zwar auf allen drei Ebenen, die Biodiversität ausmachen: bei der Vielfalt der Arten, der Vielfalt innerhalb der Arten und bei der Vielfalt der Ökosysteme. Es gibt keine Kipppunkte. Wir merken die Veränderung nicht wirklich oder erst, wenn es zu spät ist. Die Natur selbst wird auch mit weniger Vielfalt auskommen; sie verändert sich dann einfach, findet neue Formen des Zusammenwirkens. Aber für uns Menschen ist die Fülle überlebenswichtig, weil die Natur uns mit fast allem versorgt, was wir für unsere Existenz benötigen, vom Trinkwasser, über die Nahrung, bis hin zur Kleidung und Medikamenten.
Wir Menschen haben leider verlernt zu sehen, dass wir selbst ein Teil der Natur sind, diese jedoch stattdessen vollkommen übernutzen. Wie kann man den Menschen klarmachen, dass sie durch ihr eigenes Handeln zu einer nachhaltigen Verbesserung der Umwelt- und Klimasituation beitragen können?
Die Vermittlung ist in der Tat nicht einfach. Ich versuche es durch aktive Öffentlichkeitsarbeit, etwa mit meinem Buch „Vom Verschwinden der Arten“, das ich zusammen mit der Journalistin Friederike Bauer geschrieben habe. Denn es ist wichtig, das Thema aus der „Nerd-Ecke“ rauszubekommen und allen bewusst zu machen, was auf dem Spiel steht. Dafür braucht es dann auch noch andere, kreative Vermittlungsformen, in der Schule natürlich, aber auch in Zusammenarbeit mit der Kunst, Kultur, auch mit Unternehmen oder Stadtverwaltungen. Entscheidend ist die Botschaft, dass ein biodiversitätsfreundliches Leben dem großen Ganzen nutzt, aber auch jedem Einzelnen. Und zwar unmittelbar: dadurch wird das Leben gesünder und freundlicher. Denn: Natur macht glücklich – das ist inzwischen belegt.
Kinder und Jugendliche schon frühzeitig an das Thema Umwelt- und Klimaschutz heranzuführen und sie auch partizipativ mitzunehmen, ist sicherlich ein zielführendes Projekt. Mit meinem Partner zusammen bringen wir Tiny Forests in Kitas und Schulen und begleiten Kinder und Jugendliche über einen Zeitraum von gut 2 Jahren. Welche Empfehlungen können Sie als Wissenschaftlerin gerade jungen Menschen dazu mit auf den Weg geben?
„Tiny Forests“ ist eine Initiative, die ich für ausgezeichnet halte. Genau solche Aktionen braucht es, weil sie Natur auch in urbanen Räumen wieder stärker ins Bewusstsein rücken können. Sie sind verbunden mit drei Zielen: 1. aktiv etwas aktiv für den Schutz der Natur zu tun, 2., dadurch etwas über die Natur zu lernen und eine Beziehung zu ihr aufzubauen und 3., so etwas gemeinschaftlich zu machen. Das stärkt den sozialen Zusammenhalt und zeigt, dass man im Kampf für die Rettung der Biodiversität und Natur nicht allein ist. Das schafft Hoffnung. Genau solche greifbaren Vermittlungsformen sind äußerst lohnend.