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Digitale Bildung in Schulen - Von den Schweizern lernen?

27. Oktober 2017

Portrait Neff ChristianDigitale Bildung in Schulen ist derzeit eins der am meisten brennenden Themen an und in Schulen und wird von Befürwortern und Kritikern heiß diskutiert. Wie es allerdings in der täglichen Praxis aussieht und welche Chancen bzw. Risiken sich dahinter verbergen, darüber erfahren wir nur am Rande etwas. Nur diejenigen, die tagtäglich damit zu tun haben und auch dazu etwas zu sagen haben, wissen, wie es wirklich aussieht. Darüber sprachen wir mit Christian Neff, er ist Schulleiter der Primarschule Goldau in der Schweiz.

Herr Neff, zunächst ein Blick zurück in Ihre eigene Schulzeit: Waren Sie ein guter Schüler und was waren Ihre Lieblingsfächer?

Meine Lieblingsfächer waren Mathematik, Werken und Realien. Realien war das Fach, in welchem Heimatkunde, Geschichte, Naturkunde und Geografie zusammengefasst waren.

Ob ich ein guter Schüler war, müssten wohl eher meine ehemaligen Lehrer beantworten - meine Zeugnisnoten waren jeweils sehr gut. Einige Lehrerinnen und Lehrer brachte ich jedenfalls fast zur Verzweiflung, weil ich den Unterricht oft störte, vor die Türe gesetzt wurde und im Anschluss trotzdem gute Ergebnisse in Lernkontrollen hatte. Ich langweilte mich oft im Unterricht, weil das Lerntempo einem fiktiven Durchschnittsschüler angepasst war. Als ich später selber Lehrer war, war es mir ein wichtiges Anliegen, dass möglichst alle Kinder ihren Fähigkeiten entsprechend gefordert und gefördert wurden.

Viele sehen die Digitalisierung des Lernens als eine große Chance. Wie ist Ihre Meinung dazu und wo liegen die Chancen und welche Risiken sehen Sie als Pädagoge?

Die Digitalisierung durchdringt unser Leben und es gibt wohl keinen Berufszweig, der nicht gefordert ist, ihr adäquat zu begegnen. In der Schule ist das nicht anders – wir merken jeden Tag, dass sich alles um uns herum verändert und zwar in einem Tempo, welches Angst machen kann. Dass das System „Schule“ normalerweise eher etwas träge ist, kommt als zusätzliche Schwierigkeit dazu.

Die Digitalisierung sehe ich einerseits als Chance, das System Schule zu hinterfragen und zukunftsorientiert zu verändern, andererseits erleichtern uns die Möglichkeiten der ständig verfügbaren Werkzeuge (Kamera, Internet, Aufnahmegerät, etc.) die Organisation im Unterricht. Als Pädagoge sehe ich die große Chance darin, dass wir die Möglichkeit haben, die Lebenswelt der Kinder mit dem Schulalltag zu verknüpfen, in dem wir ihre Geräte und ihren Umgang mit der Digitalisierung im Unterricht einbauen und thematisieren. Ein großes Risiko orte ich darin, dass es viele Pädagogen gibt, welche sich dieser Entwicklung verschließen und sich mit aller Kraft gegen die Digitalisierung wehren. Aber die Digitalisierung ist nicht irgendein Trend, der dann schon irgendwann an uns vorbeigehen wird. Aktuell findet ein Leitmedienwechsel von der Buchkultur zur Informationskultur statt und wer da nicht mitgestaltet und dabei ist, wird es in Zukunft nicht leicht haben.

Im Rahmen eines zweijährigen Pilotprojektes erhielten im Schuljahr 2009/2010 alle Kinder einer 5. Klasse der Projektschule Goldau persönliche Smartphones, die sie nach einer Einführungszeit auch nach Hause nehmen und außerschulisch nutzen durften. Was war der Auslöser dieses Pilotprojektes, wurden die Ergebnisse evaluiert und können Sie Ihren deutschen Kollegen hierzu konkrete Empfehlungen geben?

Das Projekt war 2009 der Zeit voraus, da damals zehn- bis zwölfjährige Schülerinnen und Schüler noch kaum Smartphones hatten. Wir haben eine Kooperation mit dem Institut für Medien und Schule der Pädagogischen Hochschule Schwyz mit dem Ziel, einen Transfer von Wissenschaft und Praxis zu schaffen. Als wir gemeinsam das Projekt planten, wollten wir proaktiv eine Situation schaffen, welche fünf Jahre später sowieso auftauchen würde, um bereits erste Antworten zu finden. Die James-Studie und JIM-Studie geben uns im Nachhinein recht, dass die Verbreitung von Smartphones mittlerweile in dieser Altersklasse sehr hoch ist und die fiktive Situation von damals Wirklichkeit wurde.

Die Ergebnisse wurden teilweise wissenschaftlich ausgewertet und intern fanden auch Evaluationen statt. Wichtig war nach zwei Projektjahren die Erkenntnis, dass Unterricht mit persönlichen, mobilen Geräten nicht nur möglich ist, sondern von allen Beteiligten (Eltern, Kindern, Behörden und Lehrpersonen) als gewinnbringend eingestuft wurde. So erstaunt es nicht, dass in der Folge weitere Lehrpersonen mitmachen wollten und mittlerweile alle mit an Bord sind.

Vor zwei Jahren habe ich den ganzen Prozess in einer Masterarbeit ausgewertet und darin finden sich auch Empfehlungen für andere Schulen. Die Arbeit „BYOD – Integration mobiler Geräte in der Schule» kann auf unserem Blog (www.projektschule-goldau.ch) heruntergeladen werden. Der Blog bietet auch viele weitere tolle Berichte und gibt einen differenzierten Einblick in unsere Arbeit.

Smartphones und Tablets sind fester Bestandteil des Unterrichts an Ihrer Schule. Wie verändert dies das Lernen und wie konnten Sie Eltern überzeugen, die anfangs bestimmt Bedenken gegen dieses Projekt hatten?

Die persönlichen Geräte der Schülerinnen und Schüler spielen im Unterricht eine Rolle, nicht aber die Hauptrolle. Sie werden dort eingesetzt, wo es Sinn macht. Vielfach bringen uns auch die Kinder auf tolle Einsatzszenarien. Die persönlichen Geräte im Unterricht verändern den Unterricht in vielen Aspekten: Vokabeln können einfacher eingeprägt, das 1x1 schneller automatisiert, Internetrecherchen und weitere Anwendungen mit weniger Aufwand organisiert werden, um nur einige zu nennen. Viel mehr zur positiven Veränderung von Unterricht hilft die Haltung der Lehrpersonen, dass man sich dieser Veränderung stellt und die Kinder und deren Lebenswelt mit einbezieht. Die Kinder erfahren, dass ihr Gerät nicht nur ein Konsumgerät ist, sondern damit auch produktiv gearbeitet und gelernt werden kann.

Im Jahr 2009 mussten wir die Eltern noch überzeugen, alles war neu und unbekannt. Zum Glück hatten die Eltern das Vertrauen in uns und nach zwei Jahren standen immer noch alle hinter dem Projekt. Mittlerweile braucht es keine Überzeugungsarbeit mehr, der Einsatz ist selbstverständlich und viele Eltern sind uns dankbar, dass wir sie in dieser Sache nicht alleine lassen. Gemeinsam im Dreieck Eltern-Kind-Schule übernehmen wir Verantwortung und stellen uns der Herausforderung. Die Kinder nehmen wir von Anfang an mit ins Boot. Jede Lehrperson erarbeitet mit ihrer Klasse gemeinsam einen internen Vertrag. Diese Arbeit ist medienpädagogisch sehr wertvoll, weil man dabei die Kinder ernst nimmt. Diese Verträge sind juristisch eher wertlos, aber sie sind viel wirkungsvoller, als von der Schule aufgesetzte Verträge, welche die Kinder nicht verstehen.

Wie verändert die Methodik des digitalen Lernens zukünftig die Rolle des Lehrers? 

Wenn man diese Veränderung nur auf das digitale Lernen beschränkt wird es gar nicht so gravierend sein. Die digitalen Geräte sind ein weiteres Werkzeug, welches die Lehrer einsetzen, um die Schüler lernen zu lassen. Von mir aus ist dieses Werkzeug vielen anderen überlegen, weil es sehr individualisiert und organisatorisch einfach eingesetzt werden kann.

Wenn man den Fokus auf die Veränderung durch Digitalisierung unserer Welt setzt, wird es viel ausgeprägter sein. Die Rolle der Lehrerinnen und Lehrer verändert sich aktuell in einer bisher wohl nie dagewesenen Geschwindigkeit. Dies auszuführen würde den Rahmen dieses Interviews sprengen. Lehrerinnen und Lehrer müssen sich bewusst sein, dass sie sich bewegen müssen. Die bisherige Rolle passte gut zur bisherigen Zeit. Die Gesellschaft verändert sich aber rasant und wir können in der Schule nicht einfach so tun, als würde unsere bisherige Rolle weiterhin funktionieren. Wir versuchen an unserer Schule Schritt für Schritt vorwärtszugehen, um diesen Herausforderungen zu begegnen.

Veröffentlicht am 27.10.17

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Wie sagte schon Bacon: „Wissen ist Macht!“
*Francis Bacon, 1561 - 1625, Philosoph & Jurist
 

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