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Einsatz digitaler Medien in der Schule - Wie Flipped Classroom den Unterricht revolutioniert

6. Mai 2016

Tablet Sebastian Schmidt

Flipped Classroom (Umgedrehter Unterricht) ist eine Unterrichtsmethode des selbstorganisierten Lernens, in dem die Lerninhalte zu Hause von den Schülern erarbeitet werden und die Anwendung in der Schule geschieht. Beim Flipped Classroom erstellen die Lehrer Material für die Schüler, häufig in Form von Videosequenzen, die von ihnen zu Hause verarbeitet werden. Somit führt Flipped Classroom durch die Verlagerung der Lehrsequenzen nach Hause zu mehr Unterrichtszeit und bietet Schülern die Möglichkeit, die Lehrinhalte selbstbestimmt und im eigenen Tempo anzuwenden. Der Lehrer wird zum Moderator!

Soweit die Theorie, hier nun die Praxis: wissensschule sprach hierüber mit Sebastian Schmidt, der als ausgewiesener Experte zu diesem Themengebiet an der Inge Aicher Scholl Realschule Pfuhl unterrichtet.

Was in der Wirtschaft schon seit Jahren erfolgreich unter "E-Learning" praktiziert wird, scheint in unseren Bildungseinrichtungen und besonders hier in den Schulen noch nicht angekommen zu sein. Was läuft falsch in unserem Land?

Wenn ich mir so anschaue, was man in der Wirtschaft unter „E-Learning“ versteht, bin ich manchmal ganz froh darum, dass sich dies in der Form (noch) nicht an unseren Schulen durchgesetzt hat. Häufig werden Weiterbildungen vollständig digital abgebildet und die Teilnehmer sitzen am Rechner, um die Aufgaben zu bewerkstelligen. Dabei ist es doch so wichtig, dass man im digitalen Zeitalter erst recht viel Wert auf das aktive Miteinander im realen Leben legt. Gerade die Rolle des Lehrers als Antreiber, Coach, etc.  ist nicht zu ersetzen, das hat auch Hattie mit seiner Studie gezeigt. Aber natürlich gibt es viele Möglichkeiten, den Unterricht mit Elementen des „E-Learning“ zu verbessern. Diese Möglichkeiten zu entdecken, dazu fehlt es vielen Lehrern in Deutschland schlicht an der Ausbildung. Wer heute effizient Apps, Lernplattformen, etc. in den Unterricht integriert, hat sich dieses Wissen meist selbst erarbeitet und nicht im Zuge des Lehramtsstudiums gelernt. Darüber hinaus gibt es in jedem Unternehmen eine eigene IT-Abteilung, die sich mit den Problemen rund um die technische Ausstattung auseinandersetzt. An Schulen machen das Lehrer nebenher und das kann nicht gut gehen. Man bräuchte pro Schule einen vollzeitbeschäftigten "ITler", der die Wartung und Instandhaltung übernimmt. Dann könnte man sich um die didaktische Verortung von elearning Bausteinen kümmern und müsste sich nicht mit technischen Problemen herumschlagen.

Deutsche Schulen stehen beim Einsatz digitaler Medien im internationalen Vergleich nicht unbedingt ganz weit vorne, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Obwohl Deutschland ein hochtechnisiertes Land ist, genießt die digitale Bildung bei uns nicht unbedingt oberste Priorität. Worin sehen Sie hier die Gründe?

Da kann ich nur Vermutungen anstellen, diese Frage habe ich mir selbst schon ganz oft gestellt. Ein Grund ist bestimmt, dass es in Deutschland schon sehr viel guten Unterricht gibt, der ohne digitale Bildung auskommt. Ganz im Ernst, warum sollte ein Lehrer etwas ändern, der mit analogen Mitteln seine SchülerInnen inspiriert und sie zum Lernerfolg bringt?
Was versteckt sich denn hinter dem Begriff Digitale Bildung? Wenn man in Zeitungsberichten darüber liest, wird beinahe ausnahmslos über die Ausstattung an Schulen berichtet. Das macht aber noch keinen neuen, besseren Unterricht. Es braucht konkrete Konzepte, die man im Unterricht anwenden kann, mit denen man erste Gehversuche im Digitalen machen kann. Einige Lehrer machen sich in Deutschland bereits auf den Weg und haben Ihren Unterricht mit tollen digitalen Elementen bereichert. Doch diese finden kaum Gehör, Tagungen und Fortbildungen finden im kleinen Kreis statt. Derweil ist ein Buch mit dem Titel „Digitale Demenz“ Bestseller und wird überall zitiert. Das schreckt ab und verunsichert sowohl Lehrer als auch Eltern, die wohl sehen, dass viele Jugendliche Ihre Zeit mit Ihrem Smartphone „verdaddeln“. Dabei wäre es so wichtig, reflektierter mit dem Internet umzugehen. Das wiederum ist in meinen Augen nur möglich, wenn der sinnvolle Einsatz der digitalen Endgeräte schon in der Schule gezeigt und umgesetzt wird.

Wenn Sie persönlich an Ihre Anfänge zurückdenken, welche Tipps und Anregungen können Sie Ihren Kollegen mit auf den Weg geben, die mit dem Einsatz digitaler Medien im Unterricht "schwanger" gehen" ?

Ganz einfach: anfangen. Mit kleinen Kniffen kann man schon viel erreichen. Wenn z. B. einige Schüler mit dem Abschreiben des Tafelbildes nicht fertig werden, ein Foto davon machen lassen und an alle Schüler verteilen. Zu Hause kann es dann jeder in Ruhe fertig machen. Oder auf Arbeitsblätter Links zu Erklärvideos oder weiterführenden Informationen setzen, mit Hilfe eines QR Codes ist das sehr leicht zu bewerkstelligen. Je mehr man sich mit diesen einfachen Möglichkeiten auseinandersetzt, desto leichter kommt man auf eine Idee, was man noch alles effizient in seinen Unterricht integrieren kann. Wer dann wirklich Feuer gefangen hat, kann sich auf Blogs vieler Lehrer austoben, die dort ihren Ansatz und ihre Erfahrungen mit dem Einsatz digitaler Medien veröffentlichen. Dann gibt es auch den EDchatDE, einen Twitter-Chat zu Themen rund um die Themen der Digitalen Bildung und mehr, und den ICMChatde, eine Ideen-Werkstatt rund um die Themen des Flipped Classroom. So habe ich meine Ideen gesammelt und schließlich verwirklichen können.

Herr Schmidt, für alle Laien und Nichtexperten, können Sie uns bitte in einfachen Worten den Begriff des  "Flipped Classroom" erklären?

Das was ein Lehrer in einer Unterrichtsstunde erklären oder zusammenfassen muss, verlagert er mit Hilfe eines Erklärvideos auf den Nachmittag. Die SchülerInnen sehen sich diesen Input an und bereiten sich so auf die nächste Unterrichtsstunde vor, in der man sich vertiefter, individueller und differenzierter mit der Thematik befassen kann. Die Unterrichtsstunde wird schülerzentriert geöffnet und die Lehrkraft nimmt die Rolle eines Lernbegleiters ein. Mit Hilfe der Erklärvideos am Nachmittag gibt er aber weiterhin eine Struktur vor, er spielt sein Fachwissen aus wenn es nötig ist und hat trotzdem eine ganze Unterrichtsstunde lang Zeit, sich intensiv mit seinen SchülerInnen auseinanderzusetzen.
Gerade im Fach Mathematik ist es aber nicht immer hilfreich, wenn die SchülerInnen alles „vorgekaut“ bekommen. Das Lernen wird viel effizienter, wenn sie selbst einen Zusammenhang, eine Formel erschließen können. Deswegen kann man z.B. auch ein so genanntes Impulsvideo erstellen. Man aktiviert darin Grundwissen, das für das nächste Thema wichtig ist und lässt das Video mit einer offenen Aufgabenstellung enden. Bis zur nächsten Stunde soll dann jeder Schüler seine ersten Versuche unternehmen und die Ergebnisse zu Beginn vorstellen. Gemeinsam wird das neue Thema erschlossen, bei Bedarf ergänzt der Lehrer. Anschließend wird aber das Wissen direkt angewendet, eine Ergebnissicherung erfolgt am darauffolgenden Nachmittag mit einem Erklärvideo. So spart man sich Zeit und verlagert machbare und für den Unterricht weniger effiziente Phasen auf den Nachmittag.

Flipped Classroom ist also kein Unterricht mit „Video schauen“, sondern der Lehrer überlegt sich beim Konzipieren einer Unterrichtseinheit, an welcher Stelle ein Input von ihm notwendig ist bzw. welche Schüleraktivität er auf den Nachmittag verlegen kann. Die Videos stehen nicht im Mittelpunkt des Lernens, sie sind nur ein kleiner Bruchteil. Mit den Videos öffnet man nur den Unterricht, um effizienter arbeiten zu können. Das hat auch seine Grenzen, nicht immer wird ein Erklärvideo passend zu einem Fach/ einer Unterrichtsstunde sein.

Wo sehen Sie die eindeutigen Vorteile für Schüler und Lehrer?

Schüler können sich den Input des Lehrers ansehen wo sie wollen, wann sie wollen und wie oft sie wollen. Sie können den Lehrer pausieren und eine Erklärung erneut ansehen, selbst Wochen und Monate später. Die Hausaufgabe wird attraktiver: Statt nach wenigen Minuten das Handtuch zu werfen, weil man bei einer Übung nicht mehr weiter kommt muss man nur ein Video ansehen. Das verkürzt die Arbeitszeit und spart trotzdem Zeit. Im Unterricht hat man dann neben dem Lehrer viele Ansprechpartner und Helfer bei Fehlern oder Verständnisschwierigkeiten. Das nimmt gerade den fleißigen SchülerInnen die Angst vor einem Fach wie z.B. Mathematik und ermutigt, Fehler zu machen und aus Ihnen zu lernen. Gute SchülerInnen können dann auch Aufgaben des Lehrers übernehmen und andere Schüler lehren, z.B. mit einem selbst erstellten Erklärvideo für die Klassenkameraden. So wird Lernen durch Lehren in den Unterricht integriert.

Der Lehrer kann sich aus der zentralen Rolle lösen und sich um die Belange der SchülerInnen kümmern. Er kann den Schülern auf Augenhöhe begegnen und sie in Ihrem Lernfortschritt wertschätzen. Gleichzeit kann er auch den weniger Eifrigen begleitend zur Seite stehen und sie zum eigenständigen und selbstverantwortlichen Lernen pushen. Dadurch wiederum erkennt er leichter, woran es bei seinen SchülerInnen wirklich hakt und wie er vielleicht mit einem weiteren Erklärvideo oder einer weiteren Übungseinheit nachjustieren kann. Es öffnet einem die Augen über Dinge, die im Unterricht funktionieren und die eigentlich schon immer falsch gelaufen sind. Ich kann nur jedem empfehlen, selbst einmal ein Erklärvideo im Unterricht einzusetzen und auszuprobieren, welche Auswirkungen es auf den eigenen Unterricht hat. Es entspannt den Unterricht und gibt einem schließlich das Gefühl, wirklich etwas zu bewegen.

Kategorie:
Veröffentlicht am 06.05.16

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Wie sagte schon Bacon: „Wissen ist Macht!“
*Francis Bacon, 1561 - 1625, Philosoph & Jurist
 

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