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Wie Inklusion gelingen kann

9. Januar 2017

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„Mitten drin statt nur dabei!“- dieser einprägsame Slogan der Aktion Mensch beschreibt kurz und bündig, worum es bei Inklusion geht. Menschen mit Handicaps am gesamten gesellschaftlichen Leben – und damit auch am Bildungsprozess - nicht nur zulassen und erdulden, sondern ganz konkret mitnehmen und beteiligen. Dieses Verständnis von Inklusion ist von der UN, dem Bundestag und den bundesdeutschen Landesparlamenten politisch gewollt und gesellschaftlich geboten.

Können unsere Schulen diesem Anspruch gerecht werden? Nein, wenn wir die traditionelle Schule vor Augen haben. Ja, wenn wir bereit sind, eine andere Schule zu denken und Schritt für Schritt umzusetzen.

Etwas zu hoch aufgehängt? Nein, Inklusion an der Regelschule ist mehr als eine Reform der Schule. Es geht dabei um eine Revolution. Damit Inklusion im schulischen Alltag gelingen kann, müssen viele gewohnte Wege verlassen, muss eine veränderte Sicht von Unterricht und Schule Raum greifen. All das ist in dem eher trägen System Schule gar nicht so einfach.

Inklusion beginnt im Kopf. Im Kopf der Verantwortlichen im Bildungssystem und derer, die Schule vor Ort täglich organisieren und realisieren.

Seit vielen Jahren beobachten wir an den Schulen, dass bereits die ersten Klassen immer heterogener werden. Die kognitiven Unterschiede, die sprachlichen Kompetenzen, die sozial emotionalen Verhaltensmuster gehen immer weiter auseinander. Die steigende Anzahl von Kindern mit Migrationshintergrund stellt viele Schulen vor zusätzliche Herausforderungen.

Diese vorgefundene Heterogenität verlangt nach Individualisierung und Differenzierung. Mit den traditionellen Unterrichtsformen, mit Lernen im Gleichschritt wird man diesen Kindern nicht gerecht.

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All das gilt auch für Kinder mit Handicaps. Sie erweitern die schon bekannte Heterogenität nochmals. Gegner der Inklusion an der Regelschule skizzieren an dieser Stelle gerne das mehrfachbehinderte Kind, das wegen des notwendigen Pflegeaufwandes doch unmöglich dort angemessen beschult werden kann. Das ist in einigen besonderen Fällen sicher richtig. Also doch weiterhin Exklusion an Förderzentren statt Inklusion an Regelschulen?

Nein, denn extreme Ausnahmen, die es gibt, können nicht als Diskussionsgrundlage für Inklusion dienen. Für die muss die geeignete Schule sorgfältig ausgesucht werden.

Wie kann Inklusion von Kindern mit Handicaps an der Regelschule gelingen? Ein hundertprozentiges Erfolgsrezept gibt es, wie nirgends im Bereich Erziehung und Bildung, natürlich auch hier nicht. In all den Jahren, in denen wir an unserer Schule Kinder inklusiv beschulen haben sich aber einige „Gelingungsfaktoren“ herausgebildet. Hier kurz skizziert:

  • Inklusion im Leitbild der Schule verankern.
    An unserer Schule unterrichten wir Kinder in Einzelinklusion seit nunmehr 14 Jahren. Unser Schulmotto: „Stärken stärken durch eigenaktives Lernen“ bildet dabei den Rahmen. Für uns sind alle Schüler Inklusionsschüler, weil wir davon überzeugt sind, dass alle Schüler Hindernisse an Lernen und Teilhabe haben. Diese individuellen Hindernisse sind ganz unterschiedlicher Art und sehr verschieden hoch. Wir sehen unsere Aufgabe als Lehrer darin, den Schüler zu befähigen, diese seine Hindernisse möglichst selbstständig zu überwinden. Vor diesem Hintergrund lehnen wir auch die Kategorisierung über einen „sonderpädagogischen Förderbedarf“ ab. Wir sehen darin eine administrative, aber nicht inklusive Etikettierung.
  • Einigkeit im Kollegium.
    Inklusion gelingt nicht einem Lehrer allein. Das gesamte Kollegium muss sie als Aufgabe und Herausforderung sehen, der sie sich aus Überzeugung stellen. Klar zu definieren ist dabei auch die Stellung der Schulbegleitungen. Wenn Inklusion an einer Schule gelingen soll, dann braucht man Lösungsfinder und keine Problemsucher.
  • Transparenz gegenüber allen Eltern der Schule.
    Welches Handicap der Schüler hat, warum er inklusiv beschult werden soll, was Inklusion konkret bedeutet, wie sie im Unterrichtsalltag aussieht, welche Konsequenzen sie für alle Schüler hat, welche Rolle eine mögliche Schulbegleitung in der Klasse hat, welche Förder- und Unterstützungsmöglichkeiten sich daraus für alle Schüler ergeben, all das muss offen angesprochen und diskutiert werden.
  • Transparenz gegenüber allen Schülern der Schule
    Die Mitschüler müssen darüber informiert werden, welche Besonderheit das Kind mit Handicap hat, wie man mit ihm umgehen soll. Es muss auch diskutiert werden, welche Verhaltensweisen eingefordert werden können, welche Zielvereinbarungen gelten und wie Fehlverhalten des Schülers mit Handicap sanktioniert werden kann und auch wird.
  • Klare Zielvereinbarungen mit Eltern und Schülern
    Gerade die gewissenhaften und engagierten Kolleginnen und Kollegen haben Angst, den Anforderungen der Inklusion im Schulalltag nicht gerecht zu werden. Klare Zielvereinbarungen mit den Eltern und den Schülern - in ihnen werden die realistischen Erwartungen und Ziele für einen Zeitabschnitt genau definiert - nehmen unterschwelligen Druck von der Lehrkraft. Unsere Erfahrung ist, dass Gelassenheit eines der „Zauberwörter“ für gelingende Inklusion ist.
  • Bereitschaft zur Veränderung des Unterrichts.
    Lehrerzentrierung und Lernen im gleichen Tempo mit den gleichen Materialien ist nicht geeignet, der Heterogenität der Schüler gerecht zu werden.Offene Unterrichtsverfahren, die Raum und Zeit für individuelles Lerntempo bieten, eigenaktives und selbstgesteuertes Lernen mit sehr differenziertem Material, Lernhelfer- und Patensysteme (die Mitschüler sind alle Lehrer des Kindes mit Handicap), klassenübergreifendes Arbeiten sind die Voraussetzung, damit eine inklusive Beschulung Erfolg haben kann. Unser Schwerpunkt liegt ab der ersten Klasse in den Freien Lernzeiten, in denen sich die Schüler sowohl das Fach, den zeitlichen Umfang, den Lernpartner und den Lernort im Schulhaus selbst auswählen kann.

 

  • Veränderte Lernumgebungen
    Inklusive Beschulung verlangt nach Lernumgebungen, die es einfach machen, verschiedene Lernatmosphären zu generieren und unterschiedliche Sozialformen zu realisieren. Flexible Lernumgebungen mit beweglichen Einzeltischen und frei verschiebbaren Tafelelementen ohne die Ausrichtung auf die zentrale große Tafel haben sich bei uns sehr bewährt. In solchen Lernumgebungen rückt der Lehrer automatisch von seiner zentralen Position vor den Schülern in die Rolle des Lernmoderators inmitten der Klasse.
    Seit vielen Jahren beschränken sich unsere Lernräume nicht auf die Klassenzimmer. Die Gänge, die Fachräume und die Aula, im Sommer auch der Pausenhof und der Garten sind bei uns Plätze, die sich der Schüler selbst zum Lernen und Arbeiten heraussuchen kann. Dort treffen Schüler aus verschiedenen Jahrgängen mit unterschiedlichen Kompetenzen aufeinander. Gemeinsam lernen, miteinander und voneinander lernen als tägliche Erfahrung an Schule.
  • Effektive Nutzung digitaler Medien
    Die digitalen Medien u. a. in Form von Lernprogrammen und Learning Apps im Internet oder den Möglichkeiten der interaktiven Tafeln unterstützen die Beschulung heterogener Schülergruppen. Vielfältige Angebote auf unterschiedlichen Niveau- und Kompetenzstufen, meist verbunden mit einem schnellen Feedback motivieren, fördern und fordern alle Schüler.
    An unserer Schule haben wir uns für ein IT-System entschieden, in dem sehr einfach jedem Schüler eine individuelle Benutzeroberfläche eingerichtet werden kann. Somit wird die Lernzeit am PC effektiv genutzt.
  • Nutzung der Fachkompetenz aus anderen Bereichen
    Die Inklusion an der Regelschule führt notwendigerweise zur Schließung vieler sonderpädagogischer Einrichtungen. Die Sonderpädagogik als Profession ist davon nicht betroffen. Wo bisher die Schüler mit Handicaps zu den sonderpädagogischen Zentren gefahren sind, fahren nun die Sonderpädagogen zu den Schülern vor Ort.
    Die Präsenz der Sonderpädagogik an der Regelschule, sei es als feste Zuordnung oder als Fachdienst, ist ein wichtiger Baustein, wenn Inklusion gelingen soll.

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Die inklusive Schule ist eine andere Schule. Die Gestaltung von Unterricht, die Auswahl bestimmter Methoden, die Art und der Einsatz der Lernmaterialien, die Gestaltung der Lernumgebungen, die Präsenz der Sonderpädagogik, all das verändert sich. Und diese Veränderungen nutzen allen Schülern der Schule. Die inklusive Schule ist eine „bessere Schule“.

Dass Inklusion eine riesige Herausforderung ist, die derzeit an manchen Schulen ob deren Ausstattung, personellen Versorgung, strukturellen Hemmnissen kaum erfolgreich zu stemmen ist, bleibt unbestritten. Zu warten, bis sich die Rahmenbedingungen verbessert haben ist aber auch keine Lösung. Übergangs- und Zwischenlösungen sind notwendig.

Die inklusive Schule gibt der alten Forderung nach einer völlig veränderten, praxisbezogeneren Lehrerausbildung nochmals mehr Gewicht.

Die positive Veränderung im sozialen Miteinander an der Schule, die notwendigen fruchtbaren Diskussionen innerhalb des Kollegiums über die Qualität von Unterricht und über die gemeinsamen Erziehungsziele, das genauere Hinschauen auf die Unterschiedlichkeit der Schüler, das wachsende Gespür für kleine Veränderungen und Fortschritte bei einzelnen Schülern lohnen die Mühe, um sich auf den Weg zu einer inklusiven Schule zu machen.

 

Ottmar Misoph, Schulleiter der Grund- und Mittelschule Thalmässing

www.vs-thalmaessing.de

Veröffentlicht am 09.01.17

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Wie sagte schon Bacon: „Wissen ist Macht!“
*Francis Bacon, 1561 - 1625, Philosoph & Jurist
 

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